Blindengeld muss bleiben

Mecklenburg-Vorpommern möchte bei blinden und sehbehinderten Menschen sparen. Das Blinden- und das Sehbehindertengeld sollen nach Plänen des Finanzministeriums massiv gekürzt werden: das Blindengeld von 546 auf 333 Euro monatlich. Ich hatte ein wenig die Hoffnung, dass die Landesregierungen zunächst die Finger vom Blindengeld lassen würden, schließlich hatten sich Niedersachsen und Thüringen gehörig die Finger verbrannt. Beide Länder hatten die Leistung komplett gestrichen, sahen sich aber nach massiven Protesten der Blinden- und Sehbehindertenvereine gezwungen, die Streichungen zurückzunehmen. Sie führten, wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau, das Blindengeld wieder ein. Meine Hoffnung war wohl unbegründet. Das Finanzministerium in Schwerin argumentiert nach dem üblichen Muster: man liege mit den Leistungen über dem Bundesdurchschnitt (Blindengeld ist Ländersache) und man müsse sparen. Wie das zu den Worten des Ministerpräsidenten Harald Ringsdorf passt, die vom enormen Wirtschaftswachstum, von einer familienfreundlichen Politik (gibt es keine Familien mit blinden Vätern, Müttern oder Kindern?) und von einem ausgeglichenen Haushalt berichten? Ich weiß es nicht. Solang das Blinden- und das Sehbehindertengeld in den Händen der Landesregierungen liegen, wird sich immer ein Bundesland finden, das weniger zahlt und an dem sich die Anderen orientieren werden. Wird diese Logik nicht durchbrochen, ist die Spirale nach unten nicht aufzuhalten. Letztlich braucht es einer bundeseinheitliche Leistung, die sich an den wirklichen Bedarfen blinder und sehbehinderter und perspektivisch aller behinderten Menschen orientiert.

Das Blindengeld ist eine Errungenschaft. Es ist ein kleiner Ausgleich von Nachteilen, die blinden Menschen in unserer Gesellschaft entstehen. Einige Beispiele aus meinem Alltag: ich liebe Goethe. Faust gehört in jede Buchsammlung, nur dass meiner nicht reklamhafte vier Euro, sondern – weil in Blindenschrift – über 40 Euro kostet. Auch ich möchte Tagebuch schreiben, auf Papier in meiner Schrift. Dafür brauche ich eine Blindenschriftmaschine, Anschaffungskosten: je nach Modell 400 bis 2000 Euro. Meine Ärztin überweist mich an einen Facharzt, bei dem ich noch nie war. Ich kenne den Weg nicht. Ich nehme ein Taxi, für Hin- und Rückweg zahle ich 25 Euro. All diese Kosten habe ich, weil ich blind bin. Damit ich am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen kann, brauche ich Blindengeld. Und jeder blinde Mensch hat diese Zusatzkosten, ganz gleich ob er Hartz-IV-Empfänger ist, eine Rente bekommt oder arbeitet. Daher muss es ein einkommensunabhängiges Blinden- und Sehbehindertengeld geben und daher sind Streichungspläne wie die in Mecklenburg-Vorpommern inakzeptabel, und sie müssen von den Blinden- und Sehbehindertenvereinen – wie schon in Niedersachsen und Thüringen – entschlossen bekämpft werden.

Autor: Heiko Kunert

Heiko Kunert (44) ist Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg und selbst blind. Er ist Vorstandsmitglied der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen, der Stiftung Centralbibliothek für Blinde, der Norddeutschen Blindenhörbücherei und der Erich-Quenzel-Stiftung, sowie Mitglied im Verwaltungsrat der Verbraucherzentrale Hamburg. Er ist freier Journalist und engagiert sich für Inklusion und Barrierefreiheit.

2 Kommentare zu „Blindengeld muss bleiben“

  1. Ich wär dabei! Mal schauen, was die Mecklenburger Kollegen planen. Erstmal hat die Vereinsvorsitzende um ein Gespräch beim Sozialminister gebeten. Drücken wir ihr die Daumen, dass sie dort etwas erreicht.

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