Radiosendung 121

Einmal im Monat sitze ich im Radiostudio des Louis-Braille-Centers. Der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg produziert Sendungen für das Hamburger Lokalradio. Eine Sendung ist der BSVH-Treff. Am kommenden Sonntag läuft die 121. Ausgabe. Im Gespräch mit Moderator Ralf Bergner werde ich auf den erfolgreichen Infotag „Durchblick“ zurückschauen. Ich werde auf die Produktschau „Trends und Technik für Zuhause“ hinweisen, die am 15. November in Hamburg stattfinden wird. Auf dieser Messe für sehbehinderte und blinde Menschen können Hilfsmittel für Hobby, Haushalt, Freizeit und Gesundheit ertastet, erlauscht und betrachtet – und gleich gekauft werden (Weihnachten steht vor der Tür). Und schließlich werde ich im nächsten BSVH-Treff berichten, dass blinde Menschen unter der Hamburger Telefonnummer 19449 Fahrplan-Aushänge in Blindenschrift bestellen können. Der Hamburger Verkehrsverbund bietet diesen Service zusammen mit unserem Verein an. Im dezember wird auf den Winterfahrplan umgestellt. Damit auch blinde Menschen wissen, wann Bus, S- oder U-Bahn vor der Haustür abfahren, gibt es die Aushänge kostenlos in Braille. Weitere Themen am Sonntag um 17.00 Uhr: ein ausführlicher Bericht von der Messe „Durchblick“, das Berufsbildungswerk in Hamburg Eidelstedt, Eisenbahnnostalgie in Oberbayern, eine Reportage aus Dietrichshagen in Mecklenburg-Vorpommern, die Führhundhaltergruppe des BSVH, Elke Fiebiger im Porträt und der Veranstaltungskalender. Die bunte Sendung für blinde, sehbehinderte und nichtbehinderte Hörer läuft jeden ersten Sonntag im Monat um 17:00 (Wiederholung am Sonntag darauf um 7:00 Uhr) auf UKW 96,0, im Hamburger Kabel auf 95,45 und als Podcast unter www.bsvh-treff.org. Übrigens feierten Bergner und sein Team von ehrenamtlichen Radio-Begeisterten im Oktober Zehnjähriges. Herzlichen Glückwunsch!

Post 100

Gut, eigentlich könnte ich jetzt noch eine Seite für unsere Homepage erstellen. Ich könnte auch bei einigen Politikern für die Belange blinder und sehbehinderter Menschen bei sog. Shared-Space-Flächen werben. Ich könnte auch einen Führhundhalter suchen, damit eine Journalistin ihn begleiten kann. Ich könnte auch noch die Einweihungsparty für den Louis-Braille-Platz vorbereiten, die am 4. Januar stattfinden soll. Ich könnte auch endlich mal meine Über-Mich-Seite bei Xing aktualisieren. All das tue ich jetzt aber nicht. Ich prokrastiniere lieber: das soll man so! Und ich gratuliere mir lieber selbst zum 100. Blind-PR-Eintrag! So schnell geht das.

Das Kino der Blinden

„Die Stadt der Blinden“ läuft seit gestern im Kino. Der Film bringt die Frage nach der Verfilmbarkeit von Blindheit wieder auf die Agenda. Und die Frage nach den Film-Gewohnheiten blinder Zuschauer. Hierzu einige Auszüge aus meinem Gedankenaustausch mit Strider auf Zoomer.de:

HKunert: Blindheit auf die Leinwand zu bringen, das ist immer ein schwieriges Unterfangen. Ich selbst bin blind und weiß, dass das Bild der sehenden Menschen von
uns durch die Medien geprägt ist. Direkten persönlichen Kontakt mit Blinden haben dagegen die wenigsten. Somit kommt Filmen wie „Blindsight“, „Erbsen auf halb 6“ oder „der Duft der Frauen“ eine große Bedeutung zu. Nun geht es bei der „Stadt der Blinden“ – ich kenne bisher lediglich das grausam gelungene
Hörspiel – ja eigentlich nicht wirklich um die Behinderung Blindheit. Das Nichtsehen ist hier eine Metapher. Hoffentlich versteht das jeder Zuschauer auch so.

Strider: Wirst Du Dir dann den Film trotzdem im Kino ansehen, respektive anhören? Hab mal gehört, dass es in einigen Kinos den Service gibt, dass Sehgeschädigte eine Art Untertitel per Kopfhörer bekommen können, der ihnen erklärt, was gerade zu sehen ist? Von so einer Möglichkeit schon mal Gebrauch gemacht? Wenn ja, ist das hilfreich oder eher störend?

HKunert: Ich sehe mir gern Filme an (ich benutze übrigens auch diese Formulierung, da sie einfach umgangssprachlich so gebraucht wird, auch wenn ich den Film eigentlich ja höre). Für mich funktioniert ein Film mehr wie ein Hörspiel. Und in Dolby-Zeiten wird in Filmen ja auch immer mehr Wert auf guten Sound gelegt. „Die
Stadt der Blinden“ werde ich gewiss sehen. Den Service mit dem Kopfhörer habe ich schon einmal genutzt. Dabei wird die Audiodeskription – sprich: die Beschreibung von Mimik, Gestik usw. – übertragen. Diese sog. Hörfilme laufen ja auch gelegentlich im TV und sind eine tolle Sache. Da die Beschreibungen passend in die Dialogpausen gesprochen werden, entgeht mir kein Wort und meine sehende Kino-Begleitung kann sich voll auf den eigenen Filmgenuss konzentrieren und braucht mir nichts zu erklären. In Kinos ist
dieser Service aber sehr selten.

Strider: Dass Filme für Dich wie Hörspiele sind, habe ich mir schon fast gedacht, aber wie funktioniert das bei Komödien, die ja auch viel von Mimik und Gestik leben? Geht da insgesamt nicht auch einiges am Inhalt verloren?

HKunert: Es gibt tatsächlich Filme, die besser für mich geeignet sind, und es gibt Filme, die für mich kaum Konsumierbar sind. Für mich sind dialogreiche Streifen
natürlich ein wesentlich größeres Vergnügen als Filme, die ihre Spannung ausschließlich aus Bildern ziehen. So ist mir z.B. von den Coen-Brüdern ein „Big Lebowski“, in dem eigentlich nonstop gesprochen wird und der stark von seinem Wortwitz lebt, lieber als „No country for old Men“, in dem stumme Verfolgungsszenen
genial umgesetzt sein sollen. Aber klar: Wenn man es aus Sicht eines Sehenden betrachtet, geht mir bei jedem Film etwas verloren, da mir das Visuelle fehlt. Für mich ist ein Film etwas ganz anderes als für Dich. Für mich spielt viel mehr die Fantasie eine Rolle. Aus Geräuschen, Stimmen und Musik setze ich mir ein „Bild“ zusammen. Gelegentlich schließe ich das Geschehene erst aus der Folgeszene, weil rein akustisch z.B. nicht sofort klar war, wer jetzt wen erschossen hat. Nur: für mich ist es ja normal, ohne das Sehen zu leben, ob nun bei der Arbeit, am PC, in der U-Bahn oder im Kino. Somit würde mir ja noch mehr verloren
gehen, wenn ich mir die Gestik-Mimik-Komödie gar nicht anschauen würde.

Bürgerliche Pflichten und bürgerliches Scheitern

Inspiriert durch die eigene Bühnenerfahrung und durch die zauberhafte Anna mache ich gerade Theater-Wochen. Am vergangenen Mittwoch sahen wir die Buddenbrooks im Thalia-Theater. Die Wieder-Aufführung der John-von-Düffel-Adaption des Thomas-Mann-Klassikers war witzig, schlicht und gelungen. Auf zwei Buddenbrooks-Generationen musste von düffel verzichten. Er konzentrierte sich auf die ökonomischen Zwänge, denen das bürgerliche Leben unterworfen ist. Das war in sich stimmig und klug gelöst, wenngleich die Vielschichtigkeit und breite Anlage des Romans sich nicht auf der bühne fand. Die Schauspieler waren mit enormem Spielwitz dabei und brachten dynamische, kurzweilige, humorvolle und nicht zu nachdenkliche zweieinhalb Stunden Theater auf die Bühne. Sie werden das am 8. Dezember wieder tun

Bedrückender als die Buddenbrooks kam am Samstag Michael Kramer im Ernst-Deutsch-Theater daher. Aber auch bei Gerhart Hauptmann stehen bürgerliche Werte im Zentrum: Pflichterfüllung und Disziplin. Diese fordert der Kunstprofessor Kramer von seinem Sohn Arnold, der sich sein Leben lang dagegen auflehnt und dabei seine Talente verschenkt. Das Scheitern des Sohnes kulminiert in einer unglücklichen Liebe, dem Spott der Gesellschaft und schließlich im Selbstmord des Sohnes. Erst dieser Selbstmord führt zur Reflektion durch den Vater. Uwe Friedrichsen spielt diese viel zu späte Reflektion erschütternd und bewegend. „Michael Kramer“ ist kein schönes, aber ein gutes Stück, das Stoff zum Nachdenken an einem Herbstabend liefert. Vorstellungen finden noch bis zum 15. November statt.