Manchmal gibt es so Tage, an denen muss ich etwas merkwürdiges ausstrahlen. An diesen Tagen stürzen sich während meines
Arbeitswegs Massen von besorgten und hilfsbereiten Mitbürgern auf mich. Nachbarn, die mich seit neun Jahren die kleine Seitenstraße
überqueren sehen, wollen mir plötzlich bei dieser vermeintlichen Hürde helfen. 50 Meter weiter, an der Hauptstraße: Eine ältere
Dame brüllt gegen das Piepen der Signal-Ampel an: „Es ist grün. Sie können gehen!“ „Das tue ich doch längst, denke ich, sag es aber
nicht. Während ich auf die U-Bahn-Tür zusteuere, packt mich eine grobe Hand am Arm, so fest, dass es beinah schmerzt, und versucht
mich in den Wagon zu wuchten. Dass ich dabei fast das Gleichgewicht verliere und unter die Bahn zu geraten drohe, fällt dem Herrn
nicht auf. Wahrscheinlich denkt er, dass das ohne seine „Hilfe“ ohnedies geschehen wäre. Und dann komme ich an der U-Bahn Hamburger
Straße an – gleich habe ich es geschafft, denke ich – da kommt eine junge, verwirrte Frau auf mich Zu: „Sie wollen bestimmt zum
Fahrstuhl! Da müssen Sie sich umdrehen!“ Und schon hab ich die nächste – diesmal schweißnasse – ungewollte Hand an meinem Arm. Ich
entwinde mich dem diesmal glücklicherweise nicht so festen Griff und gehe zur Treppe. Meine Beine funktionieren nämlich noch ganz
gut.
An Morgenden wie diesen brauche ich starke Nerven. Es ist nicht meine Blindheit, die mich dann behindert, sondern es sind leider
meine sehenden Mitmenschen. Dabei möchte ich gar nichts gegen Hilfsbereitschaft sagen. Ich freue mich immer, wenn ich gefragt
werde, ob man mir helfen könne. Und gerade in Gegenden, in denen ich mich nicht so gut auskenne oder an Tagen, an denen meine
Konzentration angeschlagen ist, nehme ich dies Angebot auch sehr gern an. Ich möchte nur gefragt werden, bevor ich von wildfremden
Menschen angefasst werde. Und ich wünsche mir, dass ein „Nein Danke, ich komm klar“ akzeptiert wird. Komisch, dass diese
Grundregeln des menschlichen Miteinanders nicht unbedingt im Umgang mit behinderten Menschen gelten.