Nach 30 Jahren: Der Krebs ist zurück

Und plötzlich schlägt das Schicksal zu. Ziemlich genau 30 Jahre nachdem mein zweites Auge entfernt wurde, also ziemlich genau 30 Jahre nachdem hierdurch mein Augentumor entfernt wurde, ist der Krebs zurück. Diesmal in der Blase.

Anfang dieses Monats erhielt ich die Diagnose, eine seltene Form eines bösartigen Blasentumors. Stellten die Ärzte zunächst in Aussicht, dass ein Teil der Blase erhalten werden könnte, raten die Onkologen inzwischen aber eindringlich davon ab – zu gefährlich.

Und somit stehe ich vor einem erneuten großen Wandel in meinem Leben. In der kommenden Woche, am Mittwoch, verliere ich also meine Blase. Und dann Chemotherapie, vielleicht auch Bestrahlung. Das hängt von den Gewebe-Proben ab, die bei der Operation entnommen werden.

Das Leben kann sich so schnell ändern. Ich jedenfalls werde einige Wochen ins Krankenhaus gehen. Drücken Sie mir die Daumen, wenn Sie mögen, beten Sie für mich, dass alles den Umständen entsprechend gut verläuft, und ich bald wieder auf dem Damm bin. Und genießen Sie das Glück des Alltags!

Apropos, Glück: Gerade in so schwierigen Zeiten ist es ein großes Glück, Menschen an seiner Seite zu wissen, die man liebt und die einen lieben. Die bezaubernde Anna und ich haben uns am Montag verlobt – eine Motivation mehr, möglichst schnell wieder gesund zu werden.

Wir lesen uns hoffentlich schon bald wieder. Bleiben Sie mir treu.

Blindheit und der Glaube an die Wunderheilung (2)

Das Thema „Blindheit und Wunderheilung“ hat mich noch weiter beschäftigt. Dazu beigetragen hat Andre Jaenisch, der meinen letzten Blogpost kritisch kommentiert hat. U.A. schrieb er:

Ich mein, es ist ja nicht so, dass Jesus durch die Gegend gerannt ist und rief “Wen darf ich heilen? Wer will nochmal, wer hat noch nicht? Och, bitte, darf ich dich heilen?” Nein, er fragte “Was willst du, dass ich tue?” Mit anderen Worten, es geht um DICH. Wenn DU nicht willst, wird ER nichts tun. Aber es soll ja Menschen mit Behinderungen geben, die sich an dieser stören. Die Initiative in dem von dir zitierten Abschnitt ging ja auch von Bartimäus aus …

„Es geht um DICH“, schreibt Andre. Ist das so? Warum gibt es „Menschen mit Behinderungen, die sich an dieser stören“? Ist nicht ein Hauptgrund hierfür, dass sie sich hilflos fühlen und von der Gesellschaft ausgegrenzt? Geht es wirklich um den Menschen mit Behinderung oder nicht doch viel mehr darum, eine Gesellschaft zu schaffen, in der sich behinderte Menschen gleichwertig fühlen können? Braucht man in einer solchen Gesellschaft noch das Hoffen auf eine Wunderheilung?

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Wunderheilung ist spannend. Momentan wirft sie für mich mehr Fragen auf als Antworten. Aber das muss ja nichts schlechtes sein.

Beim Googeln bin ich noch auf einen spannenden Beitrag gestoßen. Unter der Überschrift „Blindheit – grausames Schicksal oder neue Perspektiven?“ befasst sich Volker König mit dem Thema der Wunderheilung. Seinen Vortrag hielt er 2009 in der Wedeler Auferstehungskirche. Ein kurzer Ausschnitt:

In der Bibel ist an vielen Stellen von Blinden und Wunderheilungen die Rede. Dies trifft auch für die vier Evangelien zu. Doch in keinem Evangelium ist die Ursache der Blindheit näher beschrieben. Blindheit wird als soziale Ausgrenzung dargestellt. Eindrucksvoll wird im Markus-Evangelium (10, 46 – 52) die Geschichte der Wunderheilung des zerlumpten, blinden Bettlers Bartimäus erzählt. Er sitzt am Rande der Straße von Jericho nach Jerusalem, als er Jesus und sein Gefolge vorbeiziehen hört. Gegen den Widerstand der Umherstehenden gelingt es ihm, sich bemerkbar zu machen. Er wird von Jesus erhört und kann wieder sehen. Jesus sagt ihm: Dein Glaube hat Dir geholfen. Dies mag man als ein Wunder ansehen, ein Wunder, das schon Generationen von Kindern im Grundschulalter und Kindergottesdienst vermittelt worden ist. Diese Wunderheilung sollte man nicht kommentarlos übernehmen, wenn man sie auf unsere heutige Zeit übertragen will. Zum einen ist die soziale und damit auch wirtschaftliche Situation blinder Menschen in unserem Lande eine andere als vor 2000 Jahren. Bei uns muss keiner mehr betteln, wenn er sein Augenlicht verloren hat. Auch die medizinische Versorgung ist eine andere geworden. Vor 2000 Jahren gab es keine Brillen oder anderen Sehhilfen, keine Augentropfen. Damals dürften die hygienischen Verhältnisse auch nicht mit denen unserer Zeit vergleichbar gewesen sein.

(…)

Wenn wir also 2000 Jahre zurückspringen, müssen wir fragen, was war die Erblindungsursache des Bartimäus. Könnte es nicht eine einfache Bindehautentzündung mit völlig verklebten Augenlidern gewesen sein. Bartimäus war möglicherweise zu Tränen gerührt, dass Jesus sich seiner angenommen hat, wo ihn doch die übrige Menge eigentlich gar nicht vorlassen wollte. Jesus war für die Menschen ein Hoffnungsträger. Möglicherweise könnten es Bartimäus Tränen gewesen sein, die seinen Heilungsprozess ausgelöst haben. Dann wäre es auch zutreffend, wenn Jesus sagt: Dein Glaube hat Dir geholfen. Wir wissen so gut wie nichts über die Erblindungsursachen jener Zeit. Die Auswirkungen – nicht sehen zu können – stehen dabei ganz außer Frage. Doch man sollte sich darüber im Klaren sein, dass schwerwiegende und länger dauernde Erblindungsursachen – wie oben dargestellt – nicht mit Worten heilbar sind.

(…)

Mit einer spontanen Wunderheilung würde man keinem blinden Menschen einen Gefallen tun, sondern ihn vielmehr in ein absolutes Chaos stürzen. Das Gehirn hat sich während der Blindheit auf die Verarbeitung und Nutzung anderer Sinnesreize umgestellt. Das Gehirn eines Blinden wäre bei einer Wunderheilung gar nicht in der Lage die plötzliche Vielzahl an visuellen Reizen zu verarbeiten. Insofern kann es gar keine „Wunderheilung“ für blinde Menschen geben, es sei denn, man würde gleichzeitig ihren gesamten Erfahrungsschatz, d. h. den Speicherinhalt ihres Gehirns austauschen.

(…)

Blinde üben heute nicht nur handwerkliche Tätigkeiten als Korbflechter und Bürstenmacher aus, sondern sind als Telefonisten, Schreibkräfte, Physiotherapeuten, in akademischen Berufen, als Juristen, Psychologen, Journalisten, Programmierer, Archivare, Sozialarbeiter, Lehrer u.ä. tätig. Sie sind keine homogene Gruppe von Menschen, sondern entfalten sich ganz nach ihren natürlichen Fähigkeiten. Sie organisieren ihren Haushalt selbst, nehmen an Freizeitaktivitäten und Studienreisen in ferne Länder teil. Dennoch haftet ihnen das Image an, unselbständig und inaktiv zu sein. Menschen, die ein grausames Schicksal erlitten haben. Ein Menschenbild, das nicht zuletzt unserer christlichen Erziehung und den Bildern der Gleichnisse unserer Bibel über Blindenheilung entspringt. Es ist bedauerlich, dass viele „sehende“ Menschen sich zieren oder Hemmungen haben, zu fragen oder sich mit dem Thema Blindheit zu befassen. Blinde Menschen sind in keiner Weise anders als sehende Menschen. Wenn sie gewisse Eigenarten entwickeln, mag dies nicht zuletzt auf eine soziale Ausgrenzung zurückzuführen sein, weil z.B. der so wichtige Blickkontakt fehlt (Nonverbale Sprache), der Sehende von einer Kontaktaufnahme abhält.

Den vollständigen, lesenswerten Vortag von Volker König finden Sie auf der Website des Blinden- und Sehbehindertenvereins Schleswig-Holstein.

Blindheit und der Glaube an die Wunderheilung

Christian Ohrens berichtete vor einigen Wochen in seinem Blog über eine Begebenheit, die wohl viele blinde Menschen so oder so ähnlich schon einmal erlebt haben:

Einmal, es ist schon etwas länger her, begegnete mir jemand auf der Straße, der im festen Glauben war, dass ich, durch sein Zutun, durch Gebete und den festen Glauben an Gottes Macht, wieder sehen könnte. Ob dies nun eher im übertragenen Sinne gemeint war lassen wir mal außen vor. Der gute Mann ließ sich nicht beirren und er wollte mich nicht mit dem Irrtum gehen lassen, dass genau dies einmal eintreffen sollte. Er bat mich, mir seine Hand auf meine Augen legen und dabei ein Gebet sprechen zu dürfen. Und in so einer Situation stehste da, überlegst, ob du ihn – entschuldigt die flapsige Wortwahl – zum Teufel jagen oder ihn einfach tun und reden lassen sollst? Sollte ich es also über mich ergehen lassen oder sein “Angebot” bestimmt, aber freundlich, ablehnen?

Ich hätte – so wie Christian es dann ja auch getan hat – bestimmt, aber freundlich abgelehnt. Das Problem in solchen Fällen: Anders als bei Vorurteilen aus Unwissenheit ist es mit dem Argumentieren ziemlich sinnlos, wenn es um Glaubensgewissheiten geht. Sprich: Menschen, die fest daran glauben, dass es Wunderheilungen gibt, dass Handauflegen oder Gebete dafür sorgen, dass blinde wieder sehen können, wird man nicht mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über die eigene Erblindungsursache vom Gegenteil überzeugen können.

Und eigentlich will ich das auch gar nicht. Mir ist auch der Glaube an Wunder oder an Gott nicht suspekt – im Gegenteil. Was mich eigentlich an solchen Begegnungen stört, ist, dass meine Blindheit – und damit auch ich als Person – nicht akzeptiert wird, dass eine meiner wichtigsten Eigenschaften zu einem Symbol, zu einer Metapher, zu etwas degradiert wird, was mein Gegenüber nutzt, um seine Weltsicht, seinen Glauben bestätigt zu finden.

Das Motiv der Heilung Blinder ist in unserem Kulturkreis seit Jahrtausenden verankert. Da ist zum Beispiel die Heilung des blinden Bartimäus durch Jesus Christus.

Und sie kommen nach Jericho. Und als er aus Jericho ging mit seinen Jüngern und einer zahlreichen Volksmenge, saß der Sohn des Timäus, Bartimäus, der Blinde, bettelnd am Wege. Und als er hörte, dass es Jesus, der Nazarener sei, fing er an zu schreien und zu sagen: O Sohn Davids, Jesu, erbarme dich meiner! Und viele bedrohten ihn, dass er schweigen solle; er aber schrie um so mehr: Sohn Davids, erbarme dich meiner! Und Jesus blieb stehen und hieß ihn rufen. Und sie rufen den Blinden und sagen zu ihm: Sei gutes Mutes; stehe auf, er ruft dich! Er aber warf sein Gewand ab, sprang auf und kam zu Jesu. Und Jesus hob an und spricht zu ihm: Was willst du, dass ich dir tun soll? Der Blinde aber sprach zu ihm: Rabbuni, dass ich sehend werde. Jesus aber sprach zu ihm: Gehe hin, dein Glaube hat dich geheilt. Und alsbald wurde er sehend und folgte ihm nach auf dem Wege. (Markus, 10, 46-52)

Ist die Heilung nur symbolisch zu verstehen? Hat Jesus einem verlorenen, sündigen Menschen hier sprichwörtlich die Augen geöffnet, oder hat er tatsächlich ein reales, medizinisch begründetes Nichtsehenkönnen geheilt? Und welche Lehren zieht man als Christ heute – in Zeiten der Inklusion – aus dieser Bibel-Geschichte?

Ich erinnere mich – ich war elf oder so -, da standen zwei Zeugen Jehovas in unserer Wohnungstür. Sie wussten, dass ich blind war (auf dem Dorf war das allgemein bekannt). „Du wirst wieder sehen können“, versprachen sie mir. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass das für ein Kind, das erst seit gut drei Jahren blind war, sehr irritierend gewesen ist.

Lustiger war da schon die Begebenheit vor einigen Jahren in der S-Bahn. Ich solle keine Lederarmbänder tragen und kein Fleisch mehr essen, hieß es da. Dafür seien Tiere qualvoll gestorben. Würde ich kein Leder tragen, würde auch mein Sehen wieder kommen. Eine erstaunliche Vorhersage, wenn man bedenkt, dass meine Augen durch zwei Operationen entfernt wurden.

Wie schreibt Christian zum Ende seines Artikels so schön?

Es gibt diesen schönen Spruch, dass der Glaube Berge versetzen kann. Richtig, das mag stimmen. Aber sehen können werden wir dadurch noch lange nicht.

Dem kann ich nichts hinzufügen.

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