Barrierefreiheit im Internet ist nicht immer von Dauer. Immer wieder sind Menschen mit Behinderung von Rückschritten betroffen. Da hat man sich an einen zugänglichen Service gewöhnt, weiß ihn sogar zu schätzen, und dann kommt ein Update, eine Änderung in der Firmenpolitik daher, und plötzlich ist man wieder ausgeschlossen.
Drei Beispiele:
Mit dem Update von Apples mobilem Betriebssystem iOS auf die Version 7 gingen einige Verschlechterungen einher. Insbesondere sehbehinderte Menschen leiden unter der schlecht lesbaren Schrift. Der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund nennt in seinem Newsletter weitere Schwachstellen:
z.B. die Sprachausgabe (Knackgeräusche, Qualität allgemein), Signaltöne (kommen unregelmäßig und nicht laut), immer wieder Fokusverlust und somit eingeschränkter Nutzen früher häufig genutzter Apps. Generell muss man mehr rumwischen, um die gleiche Info wie früher zu erhalten. Siri wurde eigentlich auch verbessert, bei manchem Nutzer reagiert es aber nicht wie gewünscht.
Beispiel 2: Die Netbank war die erste und einzige Bank in Deutschland, die bereits 2003 ein vollständig barrierefreies Onlinebanking für blinde und sehbehinderte Menschen anbot. Das Geldinstitut ging sogar einen Schritt weiter und verschickte Bankunterlagen und TAN-Listen in Blindenschrift. Mit diesem besonderen Service hat die Netbank auch mich als Kunden gewonnen.
Zwar war bereits nach einem Relaunch das neue Onlinebanking für mich mit Screenreader und Braillezeile nicht mehr zugänglich, immerhin ließ die Netbank aber ihr Classic Banking zusätzlich online, so dass ich weiterhin eigenständig Bankgeschäfte erledigen konnte. Doch damit ist es nun auch vorbei. So hieß es in einer Mail:
nach der Einführung des Euros startete im Jahr 2002 die Harmonisierung des Zahlungsverkehrs in Europa. Ab 01.02.2014 wird das SEPA-Verfahren einheitlich bei allen Banken eingeführt. Die SEPA Funktionalität wurde im neuen Online-Banking bereits integriert. Aus technischen Gründen ist die Einbindung im Classic Banking leider nicht möglich, weshalb das Classic Banking am 23.10.2013 abgeschaltet wird. (…) Im Zuge der Abschaltung des Classic Bankings werden wir auch den Versand der TAN-Listen in Braille einstellen. Wir empfehlen Ihnen, Ihr Konto auf das mobile TAN-Verfahren umzustellen. Die Freischaltung können Sie ganz bequem im Classic Banking im Bereich „Service“ unter Aufträge / „mobile TAN“ vornehmen. Vielen Dank für Ihr Verständnis!
Immerhin stellt die Netbank ihren blinden Kunden im Gegenzug gratis die barrierefreie Software Banking4W zur Verfügung. Dennoch empfinde ich es als Rückschritt, dass ich die Website meiner Bank nun nicht mehr nutzen kann.
Schließlich noch das Beispiel Audible.de. Das Hörbuch-Download-Portal hat sich ebenfalls einen Relaunch verpasst. Seitdem hat die Seite deutlich mehr Hürden als vorher. Zwar wird eine vermeintlich barrierefreie Alternativ-Seite angeboten. Diese kann es aber in Sachen Usability mit der Zeit vor dem Relaunch bei Weitem nicht aufnehmen. Gerade unter blinden und sehbehinderten Menschen gibt es überdurchschnittlich viele Hörbuch-Fans, so dass ein Händler wie Audible ein Eigeninteresse an einer guten Bedienbarkeit für unseren Personenkreis haben müsste. Die Antwort, die ich auf meine Nachfrage vom Kundenservice bekam, stimmt mich aber wenig optimistisch:
Wir haben mittlerweile ein Team, welches sich der Barrierefreiheit auf http://www.audible.de annehmen wird. Allerdings wird die Behebung bzw. das neu erstellen dieser Seiten deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen. Wir werden keine „Flickenarbeit“ an der Seite vornehmen, sondern einen vollständige Behebung dessen in Angriff nehmen. Dies kann bedeutet, dass die Nutzung unserer Webseite bis auf weiteres nicht gewährleistet werden kann. Mir ist bewusst, dass der ein oder andere Kunde unter diesen Umständen nicht länger Kunde sein kann oder möchte. Dies ist natürlich auch Ihr gutes Recht. Jedoch kann und möchte ich Ihnen wie bisher auch kein definitives Datum zur Problembehebung mitteilen.
Barrierefreiheit muss wohl immer wieder neu erstritten werden. Selbst wenn sie einmal da ist, heißt dies nicht, dass sie dauerhaft bestehen bleibt.