Vor einigen Wochen habe ich zusammen mit dem Accessibility-Fachmann Thomas Mayer die Kampagnen-Seiten der Bundesparteien auf Barrierefreiheit getestet. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus. Aber nicht nur im Bund wird am Sonntag gewählt. Auch in Schleswig-Holstein wird über einen neuen Landtag abgestimmt. Der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag bat uns den Test auf Landesebene durchzuführen. Dort fiel das Ergebnis noch negativer aus. Den Bericht finden Sie auf shz.de.
Monat: September 2009
Blinde Passagiere auf der MS Bleichen
Schiffe gehören zu Hamburg wie Blind-PR in jede gute BlogRoll.;-) Daher war eine gewisse blind-sehende Theater-Gruppe am vergangenen Samstag auf dem Museumsschiff MS Bleichen. Wir schnupperten Schiffsdiesel, hörten die Schiffshupe dröhnen, fühlten dicke Taue. Dazu gab’s die Erinnerungen echter Seemänner und die bewegte, 50jährige Geschichte des Stückgut-Frachters. Echt ein Tipp – zumal für sonnige Spätsommer-Frühherbst-Wochenenden.
Grund unserer Recherche-Tour: Die einstigen Blind- und Sehfische proben ein neues Stück. Ab 16. Oktober bringen wir „Blinde Passagiere“ auf die Bühne – genauer auf die Kultur Bühne Bugenhagen. Und, wie der Titel schon sagt, bei diesem humorvollen Seh-Musical geht es um die Seefahrt, um Fern- und Heimweh, ausgedrückt in den Schlagern der Zeit und in einer turbulenten Story. Ich freue mich auf jeden Leser, der reinschaut.
Barrierefreie Bahnhöfe: In Hamburg eine Seltenheit
Ich bin U- und S-Bahn-Fan. Der öffentliche Nahverkehr bringt mich durch die Stadt. Für sehbehinderte und blinde Menschen sind die Züge des Hamburger Verkehrsverbundes gleichbedeutend mit Selbstständigkeit. Wer nicht selbst Auto fahren kann, wer nicht allein aufs Fahrrad steigt und losradelt, wer in unbekannten Stadtteilen nicht nach Straßenschildern und Umgebungsplänen Ausschau halten kann, der braucht Bus und Bahn. Und diese muss er eigenständig nutzen können. Das Stichwort hierfür ist Barrierefreiheit. Barrierefreie Bahnhöfe haben zum Beispiel Leitlinien auf dem Boden, die ich mit meinem weißen Stock ertasten kann. Sie führen mich zur Treppe und sie signalisieren mir, wo das Gleis – sprich: Gefahr – ist. Sind diese Rillenplatten nicht vorhanden, fühle ich mich unsicher, da ich nicht weiß, wie nah ich am Gleis bin und ob ich gerade über den Bahnsteig gehe. Barrierefreie Bahnhöfe verfügen über Fahrstühle. Diese sind in der Regel mit Blindenschrift markiert, und über Lautsprecher werden Stockwerke und Infos über Züge und Busse angesagt.
Am vergangenen Freitag haben mehrere hundert Menschen in der Hamburger Innenstadt für einen beschleunigten Umbau der Bahnhöfe in der Hansestadt demonstriert – darunter der Autor dieser Zeilen. Es ist ein Skandal, wie langsam Hamburg beim Umbau ist, und wie wenig Geld vom Senat für Barrierefreiheit zur Verfügung gestellt wird. Mehrere Redner machten bei der Abschlusskundgebung darauf aufmerksam, dass hunderte Millionen für Elbphilharmonie und andere Prestige-Projekte da seien, aber ein bis zwei Millionen für einen Bahnhofsumbau zu teuer seien. Dabei sollte sich eine alternde Gesellschaft fragen, wie lang sie Menschen mit Rollator, Krücken, Rollstuhl oder eine Sehbehinderung – aber auch Eltern mit Kinderwagen oder Menschen mit viel Gepäck – vom öffentlichen Nahverkehr ausschließen kann und will. In Hamburg bilden sich immer mehr Bürgerinitiativen, die sich für einen Umbau ihres örtlichen Bahnhofs stark machen. Behinderten- und Senioren-Organisationen setzen sich zunehmend für das Ziel Barrierefreier Nahverkehr ein. Hoffentlich ist dies Engagement erfolgreich.
Infos zum Thema gibt es in der aktuellen Ausgabe des Hochbahn-Magazins bei Hamburg 1 und im Demo-Aufruf der Landesarbeitsgemeinschaft der behinderten Menschen in Hamburg.
Maßvoll Heavy
Am 25. September erscheint das Solo-Album von Jochen Distelmeyer. Und es verspricht hörenswert zu werden. Zumindest hoffe ich das sehr nach einem Konzert, das der ehemalige Blumfeld-Frontmann kürzlich in Hamburg gegeben hat.
Nachdem sich Blumfeld vor zwei Jahren im Popkitsch-Sumpf ersoffen und aufgelöst hatten, war ich gespannt, wie der einstige Bandleader solo klingen würde. Er kam mit Band, und die ließ es auf Kampnagel ordentlich krachen. Distelmeyers Album trägt den selbstironischen Titel Heavy. Und in der Tat kommen – zumindest live – die neuen Songs deutlich heavier daher als der späte Blumfeld-Weltschmerz-Pop. Textlich steht immer noch ein enttäuschter Linker auf der Bühne, dessen einzige Hoffnung das kleine Glück der Liebe ist. Neben den aktuellen Stücken brachten Blumfeld Reloaded auch viele Klassiker aus der Hamburger-Schule-Zeit zu Gehör. So konnte das bildungsbürgerliche Mitdreißiger-Publikum maßvoll in Uni-Party- und Studenten-Demo-Erinnerungen schwelgen, ohne wirklich mitgerissen zu werden. Distelmeyer und Band brachten ein solides Rockkonzert auf die Bühne, das Interesse für die neue Platte weckte – mehr aber auch nich .
Wer es gar nicht mehr abwarten kann: An diesem Freitag, 11. September, erscheint vorab bereits die erste Single mit dem Titel „Lass uns Liebe sein“.