Berührungsängste: Tausend Worte können schön sein

Berührungsängste zwischen Behinderten und Nichtbehinderten sind häufig. Im Nachgang zu meinem Post über den Umgang mit behinderten Menschen wies mich Christian Ohrens via Twitter auf einen seiner Texte hin, den ich Ihnen gern ans Herz legen möchte. In ihm stellt der Autor seine Vorschläge vor, wie Berührungsängste gegenüber blinden Menschen abgebaut werden können. Er schreibt u. A.:

Die Tatsache, dass vieles in der menschlichen Kommunikation über Blickkontakt, Mimik und Gestik abläuft, trägt indirekt natürlich auch dazu bei, dass ein Ansprechen (beispielsweise auf einer Party) nicht stattfindet oder stattfinden kann, weil es im Vorfeld keine nonverbale Kommunikation via Augen-Blicke gegeben hat – und gezielt auch nicht geben kann.

Man kann also nur wissen, ob jemand Hilfe benötigt, ob jemand einer Unterhaltung nicht abgeneigt ist, ob man etwas fragen darf und so weiter, wenn man die Person wirklich anspricht. Auch wenn dies beim ersten Mal Überwindung kostet und vielleicht beim Angebot von Hilfe ein „Nein“ zurück kommen könnte, wer weiß, was eine zweite blinde Person antworten wird. Dies gilt ja nicht nur im Bezug auf Blindheit.

Und noch ein Wort zur nonverbalen Kommunikation und Blindheit. Was gesagt werden soll, kann man auch wirklich sagen und in Worte fassen, auch wenn viele der Meinung sind, dass ein Blick mehr als tausend Worte sagt, obwohl diese tausend Worte doch auch sehr schön sein können, oder?

Den vollständigen Artikel finden Sie auf christian-ohrens.de.

Blind im Web: Sozialer Kontakte beraubt

Wie gelangen sehbehinderte und blinde Menschen an Informationen? Diesem Thema widmet sich das Jahrbuch des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV), das am vergangenen Sonntag in Hamburg vorgestellt wurde. In Reportagen, Kurzgeschichten und Interviews werden ganz unterschiedliche Aspekte beleuchtet: Ein Team von Hörfilm-Beschreibern wird bei seiner Arbeit begleitet. Ein Künstler, der Tastmodelle von Städten und Gebäuden aus Bronze gießt wird vorgestellt. Die Arbeit von Stadion-Kommentatoren wird lebendig, die sehbehinderten und blinden Fußball-Fans das Spielgeschehen schildern. Und selbstverständlich ist auch das Internet ein Thema.

Zwei Artikel widmen sich den Chancen und Risiken im Web. In meinem Beitrag schreibe ich u. A.:

Web 2.0 ist das Schlagwort für das Mitmach-Internet. Heute lesen wir nicht nur Homepages. Wir bringen uns aktiv ein. Auch ich bin mit Hilfe meines sprechenden Computers und einer Braillezeile im Internet. Ich lese und schreibe Kurzmeldungen auf Twitter, habe Freunde auf Facebook und schreibe in meinem Blog. (…) Im Internet ist es leicht, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Unsicherheiten zwischen Blind und Sehend spielen kaum eine Rolle. Das ist eine große Chance. Vorausgesetzt die Websites sind barrierefrei. Das ist nicht immer der Fall. Da tauchen bei Facebook plötzlich unbeschriftete Schaltflächen oder Grafiken auf, mit denen meine Sprachausgabe nichts anfangen kann. Und ich bin ausgegrenzt. Dennoch sollten sich sehbehinderte und blinde Menschen und ihre Vereine von diesen Hürden nicht entmutigen lassen. Aktuell besuchen 2,9 Mio. Bundesbürger Twitter. Das soziale Netzwerk Facebook kommt hierzulande aktuell auf 15 Mio. Besucher im Monat. Die deutschen Besucherzahlen steigen rasant, bei Twitter um 494% in einem Jahr, bei Facebook um 291%. Wenn sehbehinderte Menschen und ihre Selbsthilfe-Organisationen hier nicht präsent sind, schließen sie sich von einem wichtigen Teil der Gesellschaft aus.

Anders sieht das Eckhard Seltmann. Der 59Jährige ist seit rund 20 Jahren blind. Er nutzt selbst das Web, sieht aber die Gefahr der Vereinsamung blinder Menschen vor ihrem Rechner. Und er verweist darauf, dass der ganz überwiegende Teil der Betroffenen, nämlich die sehbehinderten Senioren, gar nicht online ist:

Viele ältere Menschen sind einfach nicht mehr willens oder in der Lage, sich mit den zum Standard erhobenen Hochtechnologieprodukten wie Computer, Netbooks, Handys oder MP3-Playern auseinanderzusetzen. Weil ihnen deren Funktionsweise nicht eingängig ist, weil sie mit den Programmvorgaben nicht zurecht kommen, weil sie von vornherein schon die Tasten- und Bedienungsvielfalt abschreckt. Und dann die immer neuen englischen Wortschöpfungen! Server, Explorer, Browser, Homepage, Link, Download, Mailbox, SMS, – herrje, was verbirgt sich bloß alles dahinter? (…) Die andere, altersunabhängige Überlegung soll dem Informationsbegriff an sich gelten. Es steht außer Zweifel, dass wir heutzutage – auch als Blinde – die Möglichkeit besitzen, uns weltweit umzutun, das heißt, mit einer Unzahl von Menschen oder Quellen in Kontakt zu kommen, um unser Bedürfnis nach Meinungsaustausch oder Wissenszuwachs zu befriedigen. Historisch betrachtet ist dies eine schier nicht zu fassende kommunikative Bereicherung, die durchaus auch als Gewinn von Lebensqualität interpretiert werden kann. Nichtsdestotrotz sei die Frage erlaubt, ob sie bei aller Euphorie vielleicht doch eher quantitative denn qualitative Züge trägt? Oder anders herum gefragt: Erhöht ein Mehr an Informationen zwangsläufig auch deren Mitteilungswert? (…) Noch nie war es für Blinde so leicht, dank digitaler Medien an Informationen zu gelangen oder welche untereinander auszutauschen wie heute. Gleichzeitig aber bestand noch nie die daraus erwachsende große Gefahr, mitsamt seinen blindengerechten Gerätschaften im elektronischen Dschungel verloren zu gehen und sich unbedachterweise seiner unmittelbaren sozialen Kontakte zu berauben.

Weitersehen 2011 – das Jahrbuch des DBSV. Ausgaben: Schwarzschrift (100 Seiten, Vierfarbdruck, Format 16 x 23 cm), DAISY-CD, Preis: 2,50 Euro, Erhältlich bei allen Landesvereinen des DBSV unter der bundeseinheitlichen Rufnummer 01805-666.456 (14 Cent/Min.).

Umgang mit behinderten Menschen: Euer Mitleid kotzt mich an!

Ich muss es mal schreiben. Es ist undiplomatisch, ruppig und nicht gerade etwas, das man von einem Menschen hören will, der Kommunikation zum Beruf gemacht hat. Und in der Tat verstehe ich meine Arbeit als PR’ler für die Sache der blinden und sehbehinderten Menschen so, dass ich auch den Kontakt zu Mitbürgern suche, die Vorurteile gegenüber Behinderten haben. Ich habe die Hoffnung nicht verloren, ihre Vorurteile abbauen zu können. Und das werde ich auch weiter versuchen. Dennoch gibt es auch eine Wahrheit, die ich mal so klar hier formulieren muss: Euer Mitleid kotzt mich an!

Es war auf meinem Weg zur Arbeit, als mich auf dem U-Bahnsteig eine ältere Dame ansprach: „Kann ich Ihnen beim Einsteigen helfen?“

Diese Frage wird mir häufig gestellt, und ich finde sie absolut okay. Ich sage dann in der Regel, so auch zu der älteren Dame: „Nein danke, das geht schon.“

Nach einer kurzen Pause fragt sie: „Und geht das wieder weg?“

Sie meint meine Blindheit. Da bin ich mir sicher. „Nein, das geht nicht mehr weg“, sage ich denn auch.

„Wie schrecklich“, platzt es aus ihr heraus, „so ein junger Mann.“

Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass sie mir doch sagt, wo sich die Wagontür befindet, obwohl ich längst gehört habe, wo sie aufgegangen ist. In der Bahn will sie mir zeigen, wo ein freier Platz ist, obwohl ich vor einem Tag am Schreibtisch auch gern mal in der Bahn stehe. Es ist dieses Nicht-ernst-nehmen, das mich so wütend macht. Wenn ich sage, dass ich keine Hilfe möchte, dann ist das so. Wenn man mich dann nicht in Ruhe lässt, dann spricht man mir ab, selbst zu wissen, was gut für mich ist.

Es kam aber in diesem Fall noch schlimmer. Kurz vor dem Bahnhof, in dem ich umsteigen muss, kam die mitleidende Dame zu mir: „Wo möchten Sie denn gleich hin? Ich helfe Ihnen.“

„Bitte lassen Sie mich doch jetzt in Ruhe“, bat ich. Ich fühlte mich schlecht, irgendwie bedrängt.

„Ich möchte ja nur helfen“, rechtfertigte sie sich, um dann noch ein paarmal „wie schrecklich, so ein junger Mann“ vor sich hinzumurmeln.

Ich bezweifle, dass solche Menschen wirklich nur helfen wollen. Sie verlangen Dankbarkeit für etwas, das ich gar nicht haben will. Ihr Mitleid ist keine Hilfsbereitschaft, ihr Mitleid ist Überheblichkeit. Sie nehmen mich nicht als gleichberechtigten Menschen, sondern als hilfebedürftiges Wesen wahr. Sie übertragen ihr abwertendes Bild von Behinderung auf die behinderten Menschen selbst – ich jedenfalls hatte den Eindruck, mich für meine Blindheit rechtfertigen zu müssen. Möglicherweise fühlen sich die meist älteren Mitbürger sogar noch besonders menschlich, christlich vielleicht, aber das sind sie nicht. Im Gegenteil: ihr aufgedrängtes Mitleid tut weh. Ich jedenfalls fühlte mich an diesem Morgen schwach und entmündigt. Es ist nicht meine Behinderung, die im Alltag frustriert. Es sind Begegnungen wie diese, die Wut erzeugen.

Bereits im Januar 2007 schrieb Christiane Link – sie lebt als Rollstuhlfahrerin in London – in ihrem Blog „Behindertenparkplatz“:

Ich bin jetzt seit mehr als einem Monat in Großbritannien und ich glaube, es war der erste Monat meines Lebens (meine USA-Aufenthalte ausgenommen), in dem mir kein einziger Mensch begegnet ist, der mich offensichtlich bemitleidete. Und das obwohl ich jeden Tag mit Kreti und Pleti im Bus durch die halbe Stadt gurke und manchmal Leute anspreche, ob sie mir in den Bus helfen können, wenn die Rampe sehr steil ist. Können wir das in Deutschland vielleicht auch mal trainieren? Hilfsbereitschaft ohne Mitleid.

Ich möchte Begegnungen wie die mit der Frau in der U-Bahn nicht mehr haben. Und ich bilde mir auch ein, dass sie tendenziell seltener werden. Meine Vision ist, dass es auch in Deutschland eine Zeit geben wird, in der kein behinderter Mensch mehr solche Situationen erleben muss. Daher werde ich auch weiter gegen Vorurteile und für einen respektvollen Umgang mit behinderten Menschen streiten. Ich werde auch weiter über Möglichkeiten und Grenzen blinder und sehbehinderter Menschen informieren und das Gespräch zum Thema suchen. Ich freue mich darauf, Vorurteile abzubauen und Wissenslücken zu schließen (bei meinem Gegenüber und bei mir). Aber ich werde auch sagen, wenn mich Euer Mitleid ankotzt.

Kultur-Woche in Hamburg: Kunst für alle Sinne

Kultur verbindet. Über 130 blinde, sehbehinderte und sehende Künstlerinnen und Künstler werden sich in der kommenden Woche in Hamburg präsentieren. Das Spektrum reicht von klassischer Musik, über Jazz und Rock, über Lesungen und Musicals, bis zu Bilder-Ausstellungen. Die Kultur-Woche findet in so renomierten Häusern wie dem Ernst-Deutsch-Theater, der Fabrik oder der Markthalle statt. Hiermit erfährt die Kunst blinder und sehbehinderter Menschen eine Wertschätzung, die sie aus der sozialpädagogischen Wohlfühl-Ecke herausholt. Bisher ist es noch häufig so, dass das nichtbehinderte Publikum nicht die Werke sieht, sondern vor allem die Behinderung der Macher. Bewusst steht in der kommenden Woche der Gedanke der Inklusion im Mittelpunkt: sehende und blinde Menschen entdecken gemalte Kunst – mit Händen und Augen. Behinderte und nichtbehinderte Schauspieler stehen zusammen auf der Theater-Bühne oder machen gemeinsam Musik.

So haben Sie, geneigte Blind-PR-Leserschaft, auch letztmalig die Chance, das See-Musical „Blinde Passagiere“ in Hamburg zu erleben. Das Stück, in dem ich als blinder Schauspieler einen sehenden Capitano spiele, ist eine turbulente Geschichte um Fernweh, Sehnsucht und Liebe. Unser Musical mit neu arrangierten Schlagern der 50er Jahre spielen wir am kommenden Montag, 23. August 2010, in der Markthalle.

Im Louis-Braille-Center des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg (BSVH) wird am Dienstag, 24. August eine Ausstellung des Malers Horst W. Müller eröffnet. Das Motto: „Auch Hände können sehen“. Das Besondere an Müllers farbfrohen Bildern ist, dass sie nicht nur etwas für das kunstbegeisterte Auge sind, sondern ausdrücklich berührt werden sollen. Das wird sicherlich eine spannende Erfahrung für alle Besucher der öffentlichen Vernissage, mit Händen und Augen, als blinde, sehbehinderte oder sehende Menschen Müllers Werk zu erkunden. Schauen Sie doch auch rein, am Dienstag, 24.08. um 18 Uhr. Das Louis-Braille-Center finden Sie im Holsteinischen Kamp 26 in unmittelbarer Nähe zur U3-Haltestelle Hamburger Straße. Mehr Infos zur Ausstellung finden Sie auf bsvh.org.

Das vollständige Programm der Kultur-Woche finden Sie auf den Internet-Seiten der Hamburger Blindenstiftung. Dort können Sie Eintrittskarten bestellen, und Sie finden auch Infos über das Sport- und Rahmen-Programm. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Kultur-Woche. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei.

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