Familie Trevor nennt unser Theater-Stück
„Wohlfühlintegration“. Die Beiden kritisieren, dass beim Zuschauer hängen bleibe, dass blinde und sehende Menschen in einer
Beziehung nicht glücklich sein könnten. Wir vermitteln ihrer Meinung nach, dass es ein Miteinander nur auf der Arbeits- oder
Leistungsebene geben könne. Sprich: blinde und sehende Menschen können zusammen ein Theaterstück spielen, sie können aber keine
glückliche Liebe leben. Ich selbst habe einmal den Film „Erbsen auf halb 6“ wegen dieser
Botschaft kritisiert. Insofern gibt es mir schon zu denken, dass ich jetzt in einem Stück mitspiele, dessen Tenor angeblich sein
soll: „Blinde, bleibt unter Euch“. Daher sollte man sich einmal näher mit „Blindfische und Sehfische“ befassen. In der Tat gibt es
eine knbisternde Liebesgeschichte zwischen dem sehenden Schauspieler Oliver und der blinden Dunkelbar-Kellnerin Franziska. Und in
der Tat scheitert diese Beziehung, aber nicht an der Behinderung Franziskas, sondern an der Untreue Olivers. Und schließlich
bändelt Franziska vorsichtig mit dem anständigeren sehenden Andreas an. Die Liebe zwischen Blind und Sehend wird nicht negiert.
Hätten wir die Irrungen und Wirrungen von Liebe und Leidenschaft nicht thematisieren dürfen, nur weil blinde Menschen auf der Bühne
stehen? Hätten wir lieber eine kitschige Happy-End-Story auf die Bühne bringen sollen, damit man uns endlich glaubt, dass
behinderte und nichtbehinderte Menschen eine glückliche Beziehung führen können? Und was ist fatal an der Botschaft, dass blinde
und sehende Schauspieler mit fleißigen Proben und Engagement erfolgreich sein können? In einer Gesellschaft, in der sich viele
nicht einmal vorstellen können, dass blinde Menschen in einer eigenen Wohnung leben, sich selbst etwas kochen und zur Arbeit gehen
können, da ist das eine tolle Aussage. „Ihr Blinden und Sehenden seid richtig zusammengewachsen“, sagte eine Besucherin nach der
Aufführung vom vergangenen Freitag. Wenn diese Botschaft ankommt, ist vielleicht mehr gewonnen als mit so manch einer
pädagogisch-verkopften Debatte. Was beim Zuschauer ankommt, kann ich aber letztlich nicht beurteilen. Ich bin zu sehr in den Proben
und im Stück verhaftet, mir fällt es schwer von außen darauf zu blicken. Tun Sie das doch einfach selbst bei unserer Dernière am
Samstag, 4. Oktober, 20.00 Uhr in der Kulturbühne Bugenhagen.