10 Jahre „Send Away the Tigers“: Ein persönlicher Rückblick

Als Apple Music mir gestern die “Send Away the Tigers – 10 Year Collectors’ Edition” der Manic Street Preachers empfahl, musste ich kurz schlucken. Zehn Jahre sollte das Erscheinen eines meiner absoluten Lieblingsalben schon her sein? Verrückt! Andererseits, seitdem hat sich wahrlich viel verändert.

Vor zehn Jahren wusste ich noch nicht, dass gut ein Jahr später die bezaubernde Anna, meine heutige Frau, in mein Leben treten würde.

Statt einen Mehr-als-Fulltime-Job als Geschäftsführer beim Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg zu haben, kellnerte ich auf 400-EURO-Basis im Dunkelrestaurant Unsicht-Bar.

Obwohl 2006 bereits beschlossen, wusste in Deutschland kaum jemand etwas von der UN-Behindertenrechtskonvention, geschweige denn konnte man sich vorstellen, welche Dynamik allein der Begriff der Inklusion wenige Jahre später ausüben würde.

Statt iPhone hatte ich 2007 ein Nokia. Das konnte zwar – dank der Software TALKS – auch schon sprechen, statt über Heikos.blog, Twitter, Facebook und WhatsApp, lief Kommunikation aber ausschließlich via E-Mail, SMS und – heute kaum noch vorstellbar für mich – via Telefonat. Vielleicht ist das der größte Wandel der letzten zehn Jahre: Diesen routinemäßigen, ständigen Griff zum Smartphone, auf dem alle Hörbücher, alle Musik, alle aktuellen Nachrichten, alle Freunde ständig verfügbar sind, den gab es einfach nicht – nicht in der U-Bahn, nicht in der Pause, nicht im Bett. War das gut oder schlecht?

„Send Away the Tigers“ fand damals den Weg natürlich nicht via Streaming Dienst zu mir, sondern als CD. Wenn Musik im Shuffle-Modus gespielt wurde, dann im CD-Wechsler. Das Album der Manic Street Preachers, dieses energiegeladene und gleichzeitig sentimentale Werk, lief allerdings eher von vorn bis hinten durch, gern mehrmals am Tag – dazu wurde gegrübelt, über den Alltag nachgedacht, über Freunde und Menschen, die man liebte oder nicht mehr lieben wollte, und nach dem Sinn des Lebens gefragt. 2007 war auf jeden Fall mehr Melancholie.

Sonntag auf der Bühne: Gestrandet in Bombay

Vielleicht ist es die letzte Chance, unser aktuelles Stück live zu erleben. Die Blinden Passagiere stehen an diesem Sonntag, 26. Oktober 2014, endlich wieder in Hamburg auf der Bühne, nach krankheitsbedingter Pause nun auch wieder mit mir als Capitano. „Gestrandet in Bombay – Die See-Revue mit Schlagern der 50er Jahre“ beginnt um 15 Uhr. Veranstaltungsort ist der Hamburgsaal (Haus U) im Berufsförderungswerk Hamburg. Eingeladen wurden wir vom Freundeskreis Pflegeheim Farmsen. Karten kosten im Vorverkauf 10 Euro, vor Ort 12 Euro. Erhältlich sind die Tickets im Weinshop im EKT (Berner Heerweg 173) und im Seniorenzentrum Pflegen und Wohnen (August-Krogmann-Str. 100).

Musik: Mein Leben in 25 Songs

Musik-Sammlungen sind eine Reise durch das eigene Leben. Das fiel mir mal wieder auf, als ich mich kürzlich durch meine iTunes-Matsch-Songs klickte und mir zu vielen Liedern eine kleine Geschichte, ein Erinnerungsfetzen oder einfach nur eine Stimmung einfiel. Da kam mir die Idee dieser Liste: mein Leben in 25 Songs:

  1. Ich weiß gar nicht, ob meine Eltern Peter Alexander wirklich mochten, ob sie ihn hörten, als ich im Bauch meiner Mutter und danach in den 70er Jahren in Wanne-Eickel aufwuchs, aber er erinnert mich bis heute an meine Kindheit.
  2. Ich war frisch erblindet. Da landete die blinde Soul-Legende Stevie Wonder mit „I just called to say I love you“ einen Mega-Charterfolg. Mein Freund Tobi und ich liebten den Song, aus heutiger Sicht schwer nachzuvollziehen. Damals wollten wir so werden wie Stevie. Blind waren wir ja immerhin schon.
  3. Ich war zwölf. Da schleppten meine großen Brüder eine Kassette an. Auf der waren zwei Ärzte-Alben. Die Musik und die Texte hatten etwas Wildes, Verbotenes, Lustiges. Ich fuhr damals jeden Tag mit dem Schulbus aus dem Niedersächsischen Hechthausen zur Blinden- und Sehbehindertenschule nach Hamburg. Auf der Fahrt hörten wir immer wieder die Ärzte über unsere scheppernden Walkmen. Danach sollte mich die „beste Band der Welt“ rund 20 Jahre begleiten.
  4. Mit knapp 14 Jahren ging es ins Internat. Täglich vier Stunden im Schulbus vertrugen sich nicht mit Nachmittagsunterricht am Gymnasium und immer mehr Hausaufgaben. Im Blindenjugendheim hörten wir eigentlich ständig Musik. Wenn nicht Okay-radio – das war Anfang der 90er in Hamburg das Größte – lief, hörten wir Kuschelrock, Techno oder Hiphop. Besonders hoch im Kurs stand unter der pubertierenden männlichen Jugend die 2-Live-Crew.
  5. 1995 war ich zum ersten Mal in England – Klassenfahrt in der Zehnten. Wir waren bei dubiosen Gastfamilien untergebracht, bei denen 24 Stunden am Tag der Fernseher lief und alle Familienmitglieder – von Kind bis Großvater – in hektischen Aufruhr gerieten, als die Fernbedienung verloren ging. London ist mir seitdem die wohl liebste Stadt. Ich habe sie seitdem etliche Male wieder besucht. 1995 nahm ich die Fools-Gold-Single-CD der Stone Roses als Erinnerung mit nach Hamburg.
  6. Apropos, Urlaub: Gut ein Jahr später luden mich mein Lieblingsonkel und meine Lieblingstante zu einer dreiwöchigen Reise nach Kanada ein. Noch heute erinnere ich mich lebhaft an das enorm laute Rauschen und an die Gischt der Niagara-Fälle, an das ungewohnte Pfeifen der Vögel und das laute und raue Quaken der Ochsenfrösche im Nationalpark und an die Unmenge an Verwandten, die man der Einfachheit halber allesamt als Cousins und Cousinen bezeichnete. Im Radio, im Auto und im Zimmer des damals vielleicht 12jährigen Clifton liefen Oasis mit „Don’t look back in anger“ rauf und runter.
  7. Die Zeit zwischen 1994 und 1999 kann mit Fug und Recht als wild bezeichnet werden, war ich doch 1993 in eine Außenwohngruppe des Blindenjugendheims gezogen. Vier junge Erwachsene in einer- von Erzieher-Seite wenig kontrollierten – WG. Sie können sich das ungefähr vorstellen. Die WG hieß im Freundeskreis bald nur noch „der Club“, und sie war eine beliebte Anlaufstelle für alle, die noch Zuhause lebten und unter Aufsicht der Eltern wenige Freiheiten genossen. Sprich: Die Bude war voll, die Musik war laut, was der bürgerlichen Winterhuder Nachbarschaft wenig gefiel, so dass diese regelmäßig schimpfend vor unserer Tür stand oder gleich die Polizei schickte. Verständlich, war doch Marcus Wiebusch damals noch nicht bei der Kettcar-Ruhe heutiger Tage angekommen, stattdessen machte er mit But Alive Punk und mit den damals noch großartigen Rantanplan Ska.
  8. Wenn uns die politische Wut damals verließ, dann blieb uns immer noch der phlegmatische Weltschmerz von Tocotronic, drückten die Songs doch wirklich ein Lebensgefühl aus, mit dem wir uns damals wahrlich identifizierten. Besondere Highlights waren die Toco-Konzerte in der großen Freiheit oder der Markthalle – auch wenn wir uns danach häufig nur noch an den Hinweg erinnern konnten.
  9. Gern denke ich auch an unsere Gruppenfahrt in der Oberstufe zurück. Während die drei anderen Tutanden-gruppen in die Toskana fuhren, um dort einen Kulturschatz nach dem Anderen zu besichtigen, konnten wir unseren Tutor überreden, mit uns nach Korsika zu fahren – mit Rainbow-Tours. Irgendwie haben wir das mit der historischen Bedeutung der Insel und mit Napoleon begründen können, am Ende wurden es aber vor allem Strandtage und Abende mit Wein aus fünf-Liter-Kanistern. Erstaunlich, woran man sich manchmal so erinnert: Auf der Rückfahrt hab ich wohl etwas laut Nine Inch Nails über Kopfhörer gehört, zumindest bat mich mein Tutor, den Krach leiser zu drehen.
  10. Aber es musste nicht immer laute Musik sein. Großer Beliebtheit erfreute sich damals auch der Bayerische Rebell Hans Söllner. Um seine bitter-bösen, pazifistischen Texte zu verstehen, musste man sich auf das Bayerische einlassen, dafür taten wir es aber gern.
  11. 1998 ging es an die Uni zum Studium der politischen Wissenschaften. Damals studierte man noch auf Diplom. Man brauchte – wenn ich mich richtig erinnere – fünf Hauptfach-Scheine für das Vor-Diplom und weitere vier im Hauptstudium. Wenn ich heutigen Bachelor-Studierenden erzähle, dass uns in der Einführungswoche empfohlen wurde, im ersten Semester nur die Einführungsvorlesung und den Grundkurs zu besuchen (sprich: drei mal 90 Minuten pro Woche) – „Für das Nebenfach habt Ihr doch später noch Zeit.“ –, dann habe ich fast ein schlechtes Gewissen. Aber: Wir hatten viel Zeit, über den Tellerrand zu schauen, Seminare und Vorlesungen zu besuchen, weil uns die Themen interessierten und nicht weil wir sie erfolgreich abschließen mussten, und wir hatten Zeit für Politik und für Freunde und für die legendären Joint-Venture-Konzerte – mit dem viel zu früh verstorbenen Kleinti – im Hamburger Logo.
  12. Ich war in meinem bisherigen Leben erst einmal zum Fasching oder Karneval in einer der Hochburgen. 1999 machten meine Freunde Rheinhold, Michi und ich einen Rosenmontagsausflug nach Mainz. Ich fand es gar nicht so schlimm wie ich es mir vorgestellt hatte. Warum ich das aber eigentlich erwähne? Ich habe damals (nicht auf der Faschingsfeier, sondern bei einer Freundin unserer Gastgeberin) zum ersten Mal Manu Chao gehört. Diese originelle, einzigartige Musik begleitet mich bis heute.
  13. Damals hörte man Hiphop, deutschen Hiphop. Und der war – anders als bei den Fantastischen Vier – entweder voller Wortwitz wie bei den absoluten Beginnern oder Fünf Sterne Deluxe oder er war radikal-politisch wie bei Freundeskreis.
  14. Im Sommer 2000 ging es zu einem Marxismus-Kongress nach London. Aus heutiger Sicht ist es erstaunlich, mit welch einer Überzeugung damals auf den Podien vertreten wurde, dass die sozialistische Weltrevolution unbedingt nötig sei und – was noch erstaunlicher ist – dass es überall deutliche Zeichen gäbe, wonach ein Ende des Kapitalismus auch von der Mehrheit der Menschen gewollt sei. Dennoch waren es spannende Tage, die ich schon allein deswegen nicht missen möchte, weil ich damals (besser spät als nie) zum ersten Mal David Bowies Ziggy-Stardust-Album gehört habe.
  15. Anfang der 2000er hörte man noch Mixtapes. Und man nahm sie regelmäßig auf, um sie auf Partys zu spielen, um sie Freunden zu schenken oder um Frauen zu erobern. In der Küche der damaligen Freundin lagen einige wenige Mixtapes, die so häufig liefen, dass sie mir manch einen Ohrwurm einbrachten, so wie diesen von den Counting Crows.
  16. Zu jener Zeit war man ständig auf Konzerten (sollte man eigentlich immer noch tun). Besonders gern erinnere ich mich an die Manic Street Preachers in der Großen Freiheit. Die Manics sind bis heute eine meiner absoluten Lieblingsbands.
  17. Und wir gingen tanzen. Besonders beliebt um 2005 war Northern Soul aus den Sixties. Schweißtreibend und ganz hervorragend waren die Shelter-Club-Abende im Molotow, das ja leider kürzlich seine Tore schließen musste.
  18. Ich entdeckte in jener Zeit, wie ergreifend klassische Musik sein kann. Jahrelang hatte ich ein Abo für die Konzerte der Philharmoniker Hamburg. Für mich eröffnete sich dadurch eine ganz neue Perspektive auf klassische Musik. All das, was der Musikunterricht meiner Schulzeit zerstört hatte, musste erst wieder aufgebaut werden. Lässt man sich aber auf Werke von Mozart bis Henze ein, ist das enorm bereichernd. Wegen seiner Klarheit und Schönheit wurde Brahms mein absoluter Favorit.
  19. 2007 starb mein Vater, den ich in den Jahren zuvor viel zu selten getroffen oder angerufen hatte. Das war eine schwierige Zeit, in der mir zum Glück die wunderbare Julia und der famose Johnny Cash zur Seite standen. Zum einen war mein Vater zu Lebzeiten Country-Fan gewesen, zum anderen spendeten mir gerade die christlichen Songs von Johnny Cash Trost.
  20. „Wir sind Helden“ haben mich – wie viele andere Menschen meines Alters – durch das erste Jahrzehnt dieses Jahrtausends begleitet. Gesellschaftskritisch, aber nicht mit dem Vorschlaghammer -, emotional, sprachlich grandios und psychologisch einfühlsam. Mehrfach habe ich die Band live gesehen, so einmal bei einem Benefiz-Konzert im Docks und einmal open air im Hamburger Stadtpark.
  21. Turbulent war es zwischen 2006 und 2008. Das Studium war erfolgreich abgeschlossen, eine sechsjährige Beziehung war in die Brüche gegangen. Ich kellnerte ein wenig im Dunkel-Restaurant Unsicht-Bar und war auf der Suche nach einem Vollzeit-Job. Diesen fand ich im Sommer 2007 beim Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg – welch großes Glück! Emotional waren jene Jahre eine Achterbahnfahrt, die musikalisch vom sentimental-absurden Funny van Dannen
  22. Bis zu den lauten Songs von Madsen mit ihren einfachen Botschaften reichten.
  23. Im Sommer 2008 begann ich mit dem Theater-Spielen, was ich bis heute tue. Bei den Proben von „Blindfische und Sehfische“ lernte ich meine heutige Freundin, die bezaubernde Anna kennen. Und mit ihr zusammen lernte ich – dank eines Kampnage-Newsletter-Gewinnspiels – den großartigen Micah P. Hinson kennen.
  24. Auch schon seit etlichen Jahren begleiten mich die bewegenden, manchmal auch einfach komischen Songs von Element of Crime. Ich habe nur von wenigen Bands die vollständige Discographie, aber bei EoC ist sie ein Muss.
  25. Und nun bin ich beim Heute angekommen. Während ich hier schreibe, zupft Anna im Nebenzimmer auf ihrer Gitarre. Seit einigen Jahren hat sie das Musizieren wieder für sich entdeckt, zum Glück – bei der wunderschönen Stimme.

Soweit mein musikalischer Trip durch mein bisheriges Leben. Ich bin ja nicht so der klassische Stöckchen-Zuwerfer, aber wenn Sie einen Blog haben und meine Idee aufgreifen möchten, dann posten Sie doch auch einmal Ihre Lebenssongs. Und wenn Sie Ihren Post hier in den Kommentaren verlinken, würde mich das sehr freuen. Spontan fallen mir Christian, Isa, Julia, Katrin und Mark ein, denen ich hiermit ein „Mein Leben in … Songs“-Stöckchen zuwerfe.

Fernsehen als Blinder: Sound aufregender als im Hörspiel

Blinde Menschen sehen fern. Christian Ohrens (26) beweist dies. Er studiert Medienwissenschaften an der Uni Hamburg. In einem Interview erklärt er mir, wie er als Blinder Filme analysiert, was er über die TV-Gewohnheiten blinder Jugendlicher herausgefunden hat und woher ein blinder DJ weiß, ob das Publikum tanzt.

Heiko: Christian, Du forschst zum Thema Fernsehen und bist blind. Woher kommt Dein Interesse am TV?

Christian: Das Interesse für Film und Fernsehen war schon immer da, nicht erst seit Studienbeginn. Ich bin in meiner Kindheit quasi mit allen damals vorhandenen Medien (Buch, Audiomedien, Fernsehen, Video, etc.) groß geworden. Meine Eltern haben mir, trotz meiner Blindheit, den Zugang zum Fernsehen und zu Filmen ermöglicht, sind mit mir ins Kino gegangen etc., auch wenn ich die Bilder ja nicht sehen konnte. Ich habe entweder viel alleine oder auch gemeinsam mit anderen (z. B. meinen Eltern) fern- oder Filme geschaut und so bin ich mit damaligen Kinderserien und –Filmen sowie dem „Familienprogramm“ dieser Zeit aufgewachsen, kenne viele Kinder-TV-Helden der 90er Jahre – was unter ebenfalls blinden Kindern, dies musste ich in meiner Schulzeit dann feststellen, bei Weitem nicht selbstverständlich war. Mich faszinierten bei Cartoons beispielsweise die Storys, Figuren, die Welten, in denen sie sich bewegten, aber auch Spielfilme und –Serien oder Shows zogen mich in ihren Bann, also alles das, was auch sehende Kinder unter Anderem vor die Glotze zieht, jedoch gab es noch einen weiteren Faktor. Ich musste schon damals feststellen, dass Film und Fernsehen soundtechnisch mehr aufregendes bieten konnte als manch damaliges Hörspiel. Natürlich habe ich Hörspiele gehört, keine Frage, und das nicht zu knapp. Doch konnten mich auch Filme und Fernsehserien früh begeistern und begeistern mich auch heute noch.

Ich bin übrigens erst verhältnismäßig spät mit Audiodeskription in Berührung gekommen, was anfangs daran lag, dass ich über derartige Angebote schlichtweg nichts wusste ich aber auch später anfangs nichts davon wissen wollte. Die Vorstellung, dass jemand, wie der Erzähler beim Hörspiel, in die Geräuschkulissen und die Filmmusik reinquasselt war mir ein Gräuel. Ich mag z. B. auch sehr gerne Hörspiele, die von ihrer Aufmachung stark am filmischen Sounddesign angelehnt sind und zum Teil ohne Erzähler auskommen. Das lässt viel Spielraum für die eigene Fantasie und Interpretation und ist somit nichts anderes, als wenn man einen Film ohne Audiodeskription sieht.

Heute nutze ich sowohl beides, Filme mit, als auch ohne Audiodeskription, da ich gemerkt habe, dass ein Hörfilm manchmal Dinge vermitteln kann, die auf der akustischen Ebene eher weniger oder überhaupt nicht greifbar sind. Jedoch sind die meisten Sendungen im Fernsehen und Filme, die ich mir anschaue, weiterhin ohne Audiodeskription, ich mache eine Filmauswahl auch nicht abhängig von solchen Faktoren, denn viele Filme und Serien sind viel zu schade, als dass ich auf sie verzichten müsste, bloß weil sie über keine Bildbeschreibung verfügen.

Heiko: Welche Themen interessieren Dich in Deiner Forschung besonders?

Christian: Das ist sehr vielfältig und ist schwer an ein bestimmtes Interessensgebiet festzumachen. Zum einen wäre da das oben bereits erwähnte Sounddesign eines Films, welches in der Medienwissenschaft sehr oft nur in Verbindung mit dem Bild analysiert wird, jedoch bei einem genaueren Blick sehr viel vielschichtiger und aussagekräftiger sein kann.

Das zweite große Thema ist die mediale Vermittlung von Menschenbildern, so z. B. die Verwendung von gängigen Klischees und Stereotypen in TV-Sendungen und was diese beim Zuschauer auslösen oder bewirken können. Jeder kennt das Beispiel des Blinden, welcher in einer Filmszene eine andere Person abtastet. Oder wer erinnert sich nicht an den „Wetten, dass…“ –Auftritt, bei dem ein Teilnehmer vorgab, Farben fühlen zu können. Wer noch nie mit einem Blinden zu tun hatte könnte jetzt denken, dass beide Situationen – auch wenn die erste nur fiktiv, d. h. für den Film erfunden ist -,, dass blinde Menschen so handeln. Dass ist nur ein kleines Beispiel unter vielen.

Dann wären da noch die Themen Nutzungsforschung und Programmanalyse – Ersterem habe ich mich ja in meiner Bachelor-Studie zugewandt, letzterem Thema widme ich mich derzeit in einem Forschungsprojekt, bei dem es, grob umrissen, um die Veränderungen im Kinderfernsehen in den letzten zwanzig Jahren geht.

Heiko: Viele Menschen können sich nur schwer vorstellen, wie man als Blinder Filme analysiert. Erzähl mal: Wie arbeitest Du konkret?

Christian: Die Basics zur Filmanalyse, also Grundkenntnisse über Erzählstrukturen, Kameraeinstellungen, Wirkung von Filmmusik etc., werden ja während der Seminare, die ich besucht habe bzw. besuche, vermittelt und anhand derer hangelt man sich dann entlang. Generell ist es so, dass mir die Filme, die wir uns innerhalb eines Seminars an der Uni anschauen, von einem Kommilitonen beschrieben werden. Diese Beschreibung geht jedoch oftmals weit über die rudimentären Audiodeskriptionen hinaus. Sie erfolgt synchron zur Filmhandlung, d. h. die Handlung am Bildschirm wird sofort und nicht erst in einer Dialogpause beschrieben und ist somit zwangsläufig genauer, da derjenige, der den Film beschreibt, nicht auf eine kurze Dialogpause im Film angewiesen ist. Neben der direkten Filmhandlung werden natürlich auch die Einstellungen und Perspektiven der Kamera beschrieben.

Es ist klar, dass ich nur schwer einen Film anhand der visuellen Ausgestaltung analysieren kann. Aber meistens wird die Analyse im Rahmen eines Referats im Seminar eh auf mehrere Teilnehmer aufgeteilt, d. h. ich kann einen Bereich auswählen, den ich dann analysiere. Das kann beispielsweise die Erzählstruktur sein, also Erzählperspektive, Personen, Ebenenwechsel wie z. B. in „Existence“, wo die Figuren in ein Computerspiel eintauchen etc. Hier spielen natürlich Dinge wie die visuellen Effekte und Kameraeinstellungen eine große Rolle, aber hier hilft es, wenn ich mir noch mal die zu analysierenden Szenen genau beschreiben lasse. Aber auch Dinge wie Sounddesign, Dialoge u. v. m. können Teil einer Filmanalyse sein.

Heiko: Du hast Dich unter Anderem mit den TV-Gewohnheiten blinder Kinder auseinandergesetzt. Was waren die zentralen Erkenntnisse Deiner Forschung?

Christian: Auch blinde Kinder und Jugendliche schauen fern und das in einem größeren Umfang, als der Sehende es vielleicht vermuten mag. Nicht nur für sehende Jugendliche ist Fernsehen Leitmedium, auch blinde junge Menschen schauen Soaps, Castingshows, Serien, Spielfilme, Nachrichten etc. Einziger Unterschied besteht in der Sendungsauswahl und der zeitlichen Zuwendung. Beides ist bei blinden Zuschauern ein wenig anders gelagert. Die Zeit, die blinde Zuschauer vor dem Fernsehen verbringen ist geringer als bei Sehenden. Bei der Sendungsauswahl wird hier mehr auf wortlastige Formate zurückgegriffen. Das Fernsehen ist auch bei blinden Jugendlichen Gesprächsthema, wobei sich einige Befragte auch mehr Austausch wünschen würden. Es dient primär zur Entspannung, bei der Informationsbeschaffung werden andere Medien bevorzugt.

Heiko: Oft tun sich Menschen im Gespräch mit uns Blinden schwer, das Wort Sehen in den Mund zu nehmen. Was antwortest Du denen?

Christian: Das Wort Sehen ist bereits durch so viele Begriffe in unsere Sprache integriert, dass es oftmals schwer ist, eine Alternative für ein Wort oder einen Ausdruck zu finden. Denn wenn man alle Wörter und Phrasen, die das Wort „Sehen“ beinhalten, umschreiben und durch andere Ausdrücke ersetzen würde, so würde eine eigene „Blindensprache“ entstehen und das ist ja am wenigsten sinnvoll. Denn wir Blinde benutzen die Ausdrücke ja auch. Aber viele sind ja vorsichtig, weil sie Angst haben, mit dem, was sie sagen, jemanden zu „verletzen“. Aber gesetz dem Fall, dass ein Blinder nicht mit seiner Blindheit umgehen kann und mit einem Ausdruck, welcher das Wort „Sehen“ beinhaltet, so seine Schwierigkeiten hat, so ist das ja nicht das Problem des Sehenden.

Heiko: Dein Leben besteht nicht nur aus der Uni. Du arbeitest als DJ. Wo kann man Dich hören und was legst Du auf?

Christian: Ich arbeite ja seit elf Jahren schon bei Lokalradios, zuerst in Marburg, seit 2005 ja hier in Hamburg. Auf TIDE 96.0 bin ich jeden Freitag ab 23:00 Uhr sowie auf einem kleinen berliner Internetradio (www.tm-productionradio.de) mit einer eigenen Sendung on Air, bei der ich Musik aus den verschiedensten Genres der elektronischen Musik spiele, Bands vorstelle und interviewe, über Konzerte berichte etc.

Zudem bin ich als DJ unterwegs und bin regelmäßig im Imoto, einer kleinen Bar in Ottensen alle zwei Wochen Mittwochs. Dort gibt es dann auch elektronische Musik auf die Ohren.

Heiko: Und noch eine Blinden-Frage: Kriegst Du eigentlich mit, wie Deine Musik im Club ankommt? Schließlich siehst Du ja nicht, wie viele Besucher zu den Sounds tanzen.

Christian: Niemand schweigt, wenn er – vor allem mit mehreren anderen – eine Bar oder einen Club besucht. Man hört ja, ob die Stimmen sich bewegen etc. Natürlich bin ich auch auf Feedback angewiesen, aber so lange niemand etwas verlauten lässt gehe ich immer davon aus, dass alles in Ordnung ist. Dies verschafft mir natürlich einen gewissen Spielraum für Experimente. Denn ich glaube, wenn ich sehen würde, wie die Leute sich zu bestimmten Titeln bewegen, würde ich vielleicht nur auf ähnliche Titel zurückgreifen und dafür Anderes, das aber stilistisch auch gut ins Set passen würde, gar nicht erst auflegen.

Heiko: Kann man Dich buchen?

Christian: Ja, das kann man, für Partys jeglicher Art. Und hier beschränkt sich die Musik nicht nur auf Electro und Ähnliches. Dies ist mein persönliches Steckenpferd, was aber nicht bedeutet, dass ich nicht in der Lage bin, auch andere Styles aufzulegen. Von 80s bis aktuell ist alles drin, wenn es gefordert wird auch Schlager oder, wer es ganz ausgefallen mag, auch z. B. Gothic.

Heiko: Werfen wir noch einen Blick in Deine Zukunft: Wie geht’s weiter mit Uni und dem DJ-Dasein?

Christian: Im Winter diesen Jahres werde ich meine Masterarbeit schreiben und abgeben, sodass ich im Februar 2012 mit der mündlichen Prüfung mein Masterstudium abgeschlossen habe. Tja, und dann? Ich habe gemerkt, dass mir Forschung sehr viel Spaß macht und werde natürlich versuchen, in diese Richtung irgendwo was passendes zu finden. Und wenn das nicht klappt, so könnte ich mir auch vorstellen, im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu arbeiten. Mein ursprüngliches Ziel, einmal zum Radio zu gehen und dort irgendwas im Musikbereich zu machen, habe ich größtenteils aufgegeben, denn ich habe während des Studiums festgestellt, wie Radio wirklich gemacht wird, vor allem der „Dudelfunk“ und das ist nichts, was mich wirklich anspricht. Da bleib ich lieber bei lokalen Kanälen. Da hat man zwar weniger Hörer, kann dafür aber seine Sendungen nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten.

Aber wer weiß schon, wo er einmal landen wird? Viele mögen diese Einstellung als ziellos abwerten. Aber es gibt so viele, die blindlinks auf ein einziges Ziel zusteuern, ohne die Abzweigungen am Wegesrand zu sehen.

Weiterführende Links

Christian on Air

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