Gastbeitrag: Blinde Eltern in den Medien

Dies ist ein Gastbeitrag von Lydia Zoubek, der ich herzlich für ihren Artikel danken möchte! Schaut unbedingt auch in ihrem Blog vorbei!

Kürzlich habe ich den Artikel Wie es ist, als Sehende in einer blinden Familie aufzuwachsen im Magazin VICE gelesen. Bei dieser Lektüre wurde ich das Gefühl nicht los, dass die Verfasserin nicht nur keine Erfahrung mit blinden Menschen hatte, sondern auch keinen Gedanken an eine halbwegs akzeptable Recherche verschwendet hat. Der Beitrag strotzt nur vor Klischees, Unwahrheiten und Ahnungslosigkeit, gepaart mit allem was die Schreibkunst an Dramatik zu bieten hat. Kurz: der schlechteste Beitrag, der mir in den letzten 20 Jahren über Eltern mit einer Behinderung untergekommen ist.

Dementsprechend habe ich in den thematisch passenden Gruppen auf Facebook und der Seite, auf der der Beitrag ebenfalls gepostet wurde, entsprechende Kommentare hinterlassen. Dabei musste ich feststellen, dass eine Menge Leser diesen Beitrag über die schrecklichen Erfahrungen der sehenden Tochter blinder Eltern komplett für bare Münze nehmen. Dabei sollte einem aufmerksamen Leser auffallen, dass der Text voller Widersprüche ist. Beispielsweise schreibt die Tochter, dass sie, wenn ihre Mutter sie von der Schule abholte, an der Hand laufen musste, damit Mutter und Tochter die Straße sicher entlang laufen konnten. Ein aufmerksamer Leser fragt sich dann, wie bitte ist die Mutter dann zur Schule gekommen?

Besonders erschrocken bin ich, dass auch einige selbst von Sehbehinderung Betroffene dem Artikel einen hohen Wahrheitsgehalt zusprechen, oder mir als Kritikerin zur Selbstreflektion raten. Autsch! Das tut weh.

Blinde Eltern sind zunächst einmal Eltern. Sie haben mindestens eine Schwangerschaft lang Zeit sich auf ihren Nachwuchs vorzubereiten. Sie haben die Möglichkeit sich mit anderen werdenden Eltern auszutauschen, oder mit Eltern, deren Kinder bereits auf der Welt sind. Außerdem gibt es schon lange die Möglichkeit sich mit anderen blinden oder sehbehinderten Eltern auszutauschen. Man muss sich allerdings als werdende Eltern dafür entscheiden sich Rat zu holen.

Eltern gibt es in gut organisiert, Lösungsorientiert, oder auch in weniger fürsorglich. Das ist eine Tatsache. Die hinzukommende Sehbehinderung ist lediglich eine weitere Eigenschaft in diesem Pool von Merkmalen der Eltern.

Dennoch ist es oft so, dass wir Eltern mit einer Behinderung von dem Gefühl begleitet werden besser als der Durchschnitt funktionieren zu müssen. Denn Blind mit Kind lässt einen gern mal in den Fokus des Jugendamts rücken, wie der Beitrag blinde Eltern: sind Deine Augen Kaput? Zeigt. Eine ähnliche Erfahrung durfte auch ich machen. Darüber aber mehr an anderer Stelle.

Kurz, der Artikel in der Vice berichtet einseitig über eine sehende Tochter, die allein nur dadurch dass sie sehend war, ein ständiges Parrenting betrieben hat, dass sie nie elementare Dinge wie Blickkontakt oder gepflegtes Aussehen gelernt hat, und das Sehen die wichtigste Komponente in einem funktionierenden Familienleben ist.

Ich kenne weder die Tochter oder die Eltern, noch weiß ich wie die Verfasserin des Artikels wirklich tickt. Fakt ist aber, dass diese Darstellung dazu beiträgt, dass mal wieder die Gruppe blinder Eltern in die Schublade, „Das kann man ja nicht ohne Sehen schaffen“ gerückt wird. Auch wenn der Wahrheitsgehalt dieses Magazins zu denen gehört, die es mit Fakten nicht allzu genau nehmen.

So, und damit man mir keine einseitige Berichterstattung unterstellt, habe ich hier eine Auswahl von Beiträgen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zusammengestellt:

Ich betreibe den Blog lydiaswelt. Hier gibt es viel aus dem Alltag einer blinden Mutter und ihrer Gastautoren zu lesen. Ich würde gern den Bereich blinder Eltern mehr in den Fokus rücken. Dafür wünsche ich mir Eltern, die bereit sind über Ereignisse und Tipps aus ihrem Alltag zu schreiben. Auch die Erfahrungen von Kindern blinder Eltern sind mir willkommen.

Und jetzt freue ich mich auf einen guten und bunten Meinungsaustausch in den Kommentaren.

Hilfsmittel für Blinde: Die sehende Perspektive in den Medien

Hilfsmittel und Apps für blinde Menschen gibt es mittlerweile viele. Die Berichterstattung über sie fällt jedoch häufig unkritisch und überschwänglich aus. Bei Leidmedien.de habe ich mich an einer Einordnung versucht. Hier geht es zu meinem Artikel „Gadgets lassen Blinde nicht wieder sehen“.

Journalismus inklusiv: Freundliche Übernahme bei der taz

Menschen mit Behinderung sind im deutschen Journalismus unterrepräsentiert. Umso erfreulicher ist die Aktion der Tageszeitung taz, die am 2. Dezember 2016 eine komplette Ausgabe von Autorinnen und Autoren mit Behinderung schreiben ließ. Behinderte Fotografen lieferten das Bildmaterial. Die „freundliche Übernahme“ fand anlässlich des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderung statt und ist für den hiesigen Journalismus ein bedeutsames Signal für mehr Teilhabe auch am Medienbetrieb. Hoffentlich wird es zukünftig selbstverständlicher, dass Menschen mit Behinderung In Redaktionen und als freie Journalisten tätig sind – und das nicht nur als Autoren fürs Thema Behinderung.

Ich selbst durfte zur taz.mit Behinderung fünf Artikel beitragen: Sie befassten sich mit der Auswirkung einer Sehbehinderung auf die Angehörigen der Betroffenen, mit der mangelhaften Versorgung mit Blindenschriftbüchern, mit dem Fehlen von Barrierefreiheit im Web, mit Barrieren in Arztpraxen und mit ungewollten Berührungen im Alltag.

Herzlichen Dank an Leidmedien.de und die taz für dieses großartige Projekt!

Tagung: Medien-Schaffende diskutieren über Inklusion

Beim Verwirklichen einer inklusiven und barrierefreien Gesellschaft kommt den Medien eine Schlüsselfunktion zu. Medien prägen das Verständnis von Behinderung maßgeblich, besonders in einem Land wie Deutschland, in dem Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung im Alltag leider immer noch die Ausnahme darstellen. Ob Teilhabe gelingt, hängt auch davon ab, wie sich das mediale Bild von Behinderung wandelt.

Sind behinderte Menschen Kuriositäten der Berichterstattung, bemitleidenswerte Menschen oder Superhelden? Werden sie auf ihre Behinderung reduziert, oder wird diese als eine Eigenschaft von vielen präsentiert? Wird die Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft thematisiert, oder kommt die Darstellung über das Einzelschicksal nicht hinaus? Wird aufgeklärt, oder bedienen Sprache und Bilder vor allem Vorurteile?

Neben der Frage nach der Darstellung von Behinderung gehört zu dem Themenfeld Inklusion und Medien aber auch, ob Menschen mit Behinderung Zugang zu TV, Radio, Print und Web haben. Das Stichwort hier ist Barrierefreiheit. Soll gesellschaftliche Teilhabe gelingen, müssen wir uns informieren können, müssen wir an den Debatten in diesem Land teilnehmen können. Auch hier stehen wir in Deutschland erst am Anfang. So sind Inhalte in Gebärden- oder in leichter Sprache in den Medien die absolute Ausnahme. Hörfilme für blinde und sehbehinderte Menschen sind im öffentlich-rechtlichen TV zu selten, im Privatfernsehen gar nicht vorhanden. Im Internet stoßen behinderte Menschen immer wieder auf unüberwindbare Hürden.

Mit beiden Aspekten – der Darstellung von Behinderung und dem Zugang zu Medien – befasste sich kürzlich eine Tagung der Grimme-Akademie in Berlin. Am 26. September 2013 diskutierten über 150 Teilnehmer über Inklusion und Medien. Wissenschaftler, Journalisten und Schauspieler lieferten anregende Inputs. Ich selbst durfte in einem Workshop über Barrierefreiheit im Web berichten. Die Tagung zeigte, dass es viele offene Fragen zum Thema gibt. Da sehr viele – vielleicht zu viele – Themen angeschnitten wurden, war für Antworten Zuwenig Platz. Bleibt zu hoffen, dass es Folgeveranstaltungen gibt. Hoffentlich gelingt es dann, noch stärker nichtbehinderte Journalisten zu erreichen – und nicht primär die „Behinderten-Szene“.

Eine gelungene Link-Liste zur Tagung hat das MDR-Entwicklungslabor zusammengestellt. Die Tweets rund um die Tagung hat Christina Quast auf Storify gebündelt. Nachberichte und weiterführende Gedanken gibt es u.A. auf der Zapp-Website, in den Blogs von Franz-Josef Hanke und Christiane Link und beim Nachrichten-Portal Kobinet. Und schließlich waren Dr. Ingo Bosse, Andi Weiland und ich am Tag nach der Veranstaltung im Deutschlandfunk zu gast. Die Sendung können Sie auf der DLF-Website nachhören.

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