Dem Karibu sei Dank

Manchmal ist das Abonnieren von Newslettern doch sinnvoll. Im Kampnagel-Verteiler lautete die Gewinnspiel-Frage, welches Tier

Sarah Palin dereinst erschossen hat. Wer googelt, der findet: „Karibu“ lautete die Antwort. Ich wurde ausgelost und war am

Donnerstag im Konzert von Micah P. Hinson. Die zauberhafte Anna und ich hatten

zuvor nichts von diesem Texaner gehört. In der Kampnagel-Ankündigung stand was von Country, Americana, Cohen, Cash und Waits. Der

Myspace-Einsteiger klang nach bestuhltem Songwriter-kuschel-und-besinne-Dich-Konzert. Und so schien es zunächst auch. Friedlich

klimperte die Gitarre dahin, im stile des späten Cash sang Hinson. Doch schon bald wurde klar, dass dies kein gewöhnliches Konzert

sein würde. Immer häufiger und zunehmend radikaler brachen Hinsons Band und sein Gesang die einlullende Beschaulichkeit

amerikanischer Folk-Musik. Das Schlagzeug hämmerte in punkigem Vier-Viertel-Takt, die Gitarre wurde zur quietschenden E-Gitarre,

Hinson thronte tief, düster und mächtig über dem Sound. Und doch war es wunderschön anzuhören. Hier wurde ein Stil nicht nur

zerlegt, sondern auf kluge Weise neu zusammengesetzt. Harmonien, Rhythmen und Klang spannten sich bis ins Unerträgliche, um sich im

genau richtigen Moment aufzulösen. Und wenn man dann dachte, jetzt geht es Easy-Going weiter, krachte es erst richtig. Eine im

wahrsten Wortsinn spannende Entdeckung dieser Micah P. Hinson. Ein CD-Kauf ist Pflicht.

Heut mal die Publikumsperspektive

Das Stehen auf der Bühne macht Lust auf Theater. So besuchten die zauberhafte Schauspiel-Kollegin und ich gestern das Altonaer Theater. Dort wird zurzeit „Herr Lehmann“ gespielt, auf der Grundlage des

Bestsellers von Element-of-Crime-Sänger Sven Regener. Dabei ist man eng an der Vorlage geblieben. Die Zentralen Szenen kommen im

Original-Wortlaut vor. Bei der wortwitzig-trockenen Vorlage ist das eine kluge Entscheidung, mit der man nichts falsch machen kann.

Die Musik aus den Lautsprechern (Element of Crime, Rio Reiser) ist geschmackvoll und sehr passend. Das Bühnenbild sollte ein

Zuschauer mit Augenlicht beurteilen. Die schauspielerische Leistung ist solide bis sehr gut. Nur Katrin, die schöne Köchin, bleibt

blass – und so recht will man nicht verstehen, warum sich der sympathische Herr Lehmann ausgerechnet in sie verliebt. Das Stück

wird noch bis zum 17. Oktober gegeben. Ich empfehle einen Besuch.

Wohlfühlintegration

Familie Trevor nennt unser Theater-Stück

„Wohlfühlintegration“. Die Beiden kritisieren, dass beim Zuschauer hängen bleibe, dass blinde und sehende Menschen in einer

Beziehung nicht glücklich sein könnten. Wir vermitteln ihrer Meinung nach, dass es ein Miteinander nur auf der Arbeits- oder

Leistungsebene geben könne. Sprich: blinde und sehende Menschen können zusammen ein Theaterstück spielen, sie können aber keine

glückliche Liebe leben. Ich selbst habe einmal den Film „Erbsen auf halb 6“ wegen dieser

Botschaft kritisiert. Insofern gibt es mir schon zu denken, dass ich jetzt in einem Stück mitspiele, dessen Tenor angeblich sein

soll: „Blinde, bleibt unter Euch“. Daher sollte man sich einmal näher mit „Blindfische und Sehfische“ befassen. In der Tat gibt es

eine knbisternde Liebesgeschichte zwischen dem sehenden Schauspieler Oliver und der blinden Dunkelbar-Kellnerin Franziska. Und in

der Tat scheitert diese Beziehung, aber nicht an der Behinderung Franziskas, sondern an der Untreue Olivers. Und schließlich

bändelt Franziska vorsichtig mit dem anständigeren sehenden Andreas an. Die Liebe zwischen Blind und Sehend wird nicht negiert.

Hätten wir die Irrungen und Wirrungen von Liebe und Leidenschaft nicht thematisieren dürfen, nur weil blinde Menschen auf der Bühne

stehen? Hätten wir lieber eine kitschige Happy-End-Story auf die Bühne bringen sollen, damit man uns endlich glaubt, dass

behinderte und nichtbehinderte Menschen eine glückliche Beziehung führen können? Und was ist fatal an der Botschaft, dass blinde

und sehende Schauspieler mit fleißigen Proben und Engagement erfolgreich sein können? In einer Gesellschaft, in der sich viele

nicht einmal vorstellen können, dass blinde Menschen in einer eigenen Wohnung leben, sich selbst etwas kochen und zur Arbeit gehen

können, da ist das eine tolle Aussage. „Ihr Blinden und Sehenden seid richtig zusammengewachsen“, sagte eine Besucherin nach der

Aufführung vom vergangenen Freitag. Wenn diese Botschaft ankommt, ist vielleicht mehr gewonnen als mit so manch einer

pädagogisch-verkopften Debatte. Was beim Zuschauer ankommt, kann ich aber letztlich nicht beurteilen. Ich bin zu sehr in den Proben

und im Stück verhaftet, mir fällt es schwer von außen darauf zu blicken. Tun Sie das doch einfach selbst bei unserer Dernière am

Samstag, 4. Oktober, 20.00 Uhr in der Kulturbühne Bugenhagen.

Protest in Schwerin

Gestern machten sich blinde und sehbehinderte Menschen aus ganz Deutschland auf den Weg nach Schwerin. Aus Hamburg kamen rund 30 Demonstranten mit dem Bus, um ihren Unmut über die massiven Kürzungspläne beim Blindengeld kund zu tun. Sie wissen, dass ein Einschnitt in einem Bundesland die Gefahr der Abwärtsspirale bundesweit birgt. Ich zitiere eine Info aus DBSV-Direkt, dem Newsletter des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes, vom Mittwoch:

der öffentliche Druck wächst: 26.794 Unterschriften hat der Blinden- und Sehbehinderten-Verein Mecklenburg-Vorpommern (BSVMV) bis heute gesammelt. Die blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen im Nordosten der Republik sind nicht allein. Sie können auf breite Unterstützung zählen in ihrem Kampf gegen die Pläne der Landesregierung, das Landesblindengeld um rund 40 Prozent zu kürzen. Das Zwischenergebnis der groß angelegten Unterschriftenaktion verkündete heute die Vorsitzende des BSVMV Gudrun Buse auf einer öffentlichen Kundgebung in Schwerin, die anlässlich der ersten Lesung der Änderung des Landesblindengeldgesetzes stattfand.

„Hände weg vom Blindengeld“: Unter diesem Motto haben sich etwa 500 Menschen versammelt und den Schweriner Schlossplatz mit ihren Mützen, Schals und T-Shirts in ein warnendes Gelb getaucht. Es war eine Demonstration, mit der die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe ihre Stärke signalisiert hat. Von den Landesvereinen des DBSV waren Vertreter aus Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen gekommen. Auch die Rednerliste machte deutlich, dass sich der BSVMV nicht nur der Solidarität des DBSV und weiterer Landesvereine sicher sein kann, sondern auch die übergeordneten Sozialverbände wie den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband und den Sozialverband VdK Deutschland auf seiner Seite weiß.

„Das Blindengeld ist kein Almosen, gütig vom Landesvater Ringstorff seinen armen Untertanen, seinen Blinden dargebracht. Es ist ein Nachteilsausgleich“, betonte Uwe Boysen, Vorsitzender des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS). Renate Reymann, Präsidentin des DBSV, warf der rot-schwarzen Landesregierung „eine Politik der sozialen Kälte“ vor und warnte eindringlich davor, dass blinde Menschen durch die drastische Kürzung vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen oder sogar in die Armut getrieben werden – und das ohne finanzielle Not, denn das Land Mecklenburg-Vorpommern hat einen ausgeglichenen Haushalt und kann sogar Schulden abbauen. Vor diesem Hintergrund appellierte sie an die Mitglieder des Landtags: „Setzen Sie sich objektiv und fair mit dem Gesetzentwurf auseinander! Hinterfragen Sie die Gesetzesbegründung! Und geben Sie vor allem den Betroffenen die Gelegenheit zur persönlichen Anhörung!“

Die Stimmung in der Politik scheint zu kippen. Dies wurde auch heute früh deutlich, als die Blindengeldkämpfer die Abgeordneten vor dem Landtag mit einer leibhaftigen „Blinden Kuh“ begrüßten. Wer wollte, konnte mit Brille und Langstock durch einen Dunkelgang gehen oder sich anhand einer 32-bändigen Bibel in Punktschrift davon überzeugen, wie aufwändig das Lesen für blinde und sehbehinderte Menschen ist. Bei diesen Aktionen gab es Gelegenheit zum Austausch, dem sich Ministerpräsident Harald Ringstorff entzog, den andere Politiker aber nutzten. Bemerkenswert dabei war vor allem, dass die SPD nicht mehr geschlossen hinter den Kürzungsplänen der eigenen Minister Erwin Sellering (Soziales und Gesundheit) und Sigrid Keler (Finanzen) steht. Wie Bernd Uhlig aus der AG Blindengeld im Land Mecklenburg-Vorpommern berichtete, mehren sich innerhalb der SPD-Fraktion die Stimmen derer, die die Kürzung des Landesblindengeld nicht in vollem Umfang mittragen wollen. Dies ging in den vergangenen Tagen auch aus verschiedenen Zeitungsberichten hervor.

Kein Wunder also, dass die Landtagsdebatte über das Landesblindengeld am heutigen Nachmittag erregt verlief. Nach einem Bericht der dpa verteidigte Erwin Sellering die Kürzungspläne unter Hinweis auf Vergleiche mit anderen Bundesländern. Mecklenburg-Vorpommern habe derzeit das zweithöchste Landesblindengeld bundesweit und müsse sparen, sagte er. Redner von SPD und CDU verwiesen auf die bevorstehenden Beratungen im Sozial- und Finanzausschuss, wo der Gesetzentwurf noch verändert werden kann. Die Oppositionsparteien Linke und FDP lehnten den Gesetzentwurf rundweg ab.

„Damit ist die politische Diskussion endlich eröffnet“, äußerte sich Gudrun Buse im Anschluss an die Landtagssitzung. „Wir gehen fest davon aus, dass wir in den Ausschüssen angehört werden. Unsere Stimme zählt – das ist inzwischen auch in der Politik angekommen. Wir danken allen, die uns solidarisch unterstützen. Unsere Kampagne hat uns in den vergangenen Wochen enorm viel Aufmerksamkeit gebracht. So soll es auch weitergehen. Deshalb bitten wir alle, sich auch weiterhin für unsere Unterschriftenaktion einzusetzen. Denn ohne öffentlichen Druck geht es nicht in der Politik.“

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