England: Von Insel-Ruhe und London-Trubel

Ruhe fanden wir auf der Isle of Wight. Die Insel liegt vor den Toren von Southampton und Portsmouth. Mir war sie bisher nur vom Rockfestival bekannt, auf dem 1970 u. A. die Doors und Jimi Hendrix gespielt hatten. Mit Zug und Fähre kamen wir auf die Isle. Hier verbringen viele Engländer ihren Sommerurlaub. Das ist verständlich. neben einer abwechslungsreichen Gastronomie und einer Reihe von Shopping-Möglichkeiten findet man Strände zum Baden im kalten Ärmelkanal, allerlei Historisches (von Dinosaurier-Knochen bis zu Ruinen aus der Römerzeit) und Zoos (auch hier hätten wir wieder Eulen streicheln können). Wunderschön fand ich es in Freshwater, genauer in der Freshwater-Bay, noch genauer auf den grünen, steilen Hügeln an der Freshwater-Bay. Nur wenige Gehminuten bedurfte es, um keine Menschenstimme und kein Auto mehr zu hören. Der Duft satter Wiesen, von Pferdeäpfeln und salzigem Meer, dazu das Rauschen des frischen Windes, der immer mehr zunahm, je weiter wir bergauf kamen, das Piepsen kleiner Vögel, das Tapsen von Ziegen, die hier grasten. Den Rundumblick hat die bezaubernde Anna in einem kleinen Video festgehalten (Achtung: der Wind rauscht stark in den Lautsprechern):

Nach zwei entspannten Tagen auf der Isle of Wight, ging es zurück auf das Festland, das ja eigentlich auch nur eine Insel ist. Diesmal nahmen wir aber nicht die Fähre, sondern ein Luftkissenboot. Mit ihm rauscht man von der Isle of Wight nach Portsmouth.Mir kam es fast ein bisschen futuristisch vor, wie die Propeller sich drehten, es brummte und man das Gefühl hatte, über das Meer zu schweben. . Aber sehen Sie selbst:

Wir mussten nun langsam – ob wir wollten oder nicht – eine Strategie für die Rückfahrt gen Deutschland entwickeln. Nachdem wir erkennen mussten, dass ein Kurztrip auf die Channel-Islands aufgrund der begrenzten Zeit mehr Stress als Entspannung bedeutet hätte, entschieden wir uns für das krasse Gegenteil zu einer beschaulichen Insel: Wir fuhren nach London (man kommt in England an der Hauptstadt einfach nicht vorbei – und das ist auch gut so). Wir genossen den Trubel, den Pulsschlag des Westens und die Atmosphäre der Pubs. Mehr zufällig gerieten wir in den riesigen Bohei rund um die Wachwechsel vorm Buckingham Palace, ließen die Kapelle an uns vorüberziehen (Audio: Kapelle vorm Wachwechsel am 29.07.10), um dann im Hyde Park Eichhörnchen zu füttern. Und selbstredend durfte der obligatorische Camden-Bummel incl. T-Shirt- und Schmuckkauf nicht fehlen. Wenn man könnte, müsste man sich dort zweimal jährlich einkleiden, traumhaft) Mit solchen Ideen und weiteren Reisezielen für den nächsten England-Aufenthalt im Kopf stiegen wir nach acht Tagen Spontan-Urlaub wieder in den Eurostar-Zug. Goodbye England – wir kommen wieder!

Aller guten Dinge sind drei

Aller guten Dinge sind drei, sagten sich Rheinhold Messbecher und ich und flogen erneut nach London. Diesmal nicht mit dem vollen Touri-Programm, sondern primär um die gute alte Welt- und WamS-Tina zu besuchen, die seit August UK-Wirtschaftskorrespondentin ist. Das ist sie in spannenden Zeiten: sie berichtet über staatliche Events, auf denen einstige Banker zu Lehrern umgeschult werden. Sie trifft Finanzmanager, die mithilfe eines Coaches, Sprich: eines Psychotherapeuten, gerade noch aus der persönlichen Krise befreit wurden. Und sie berichtet von prognostizierten 370.000 verlorenen Jobs allein in London und von einem ausgestorbenen Banken-Viertel, von leeren Restaurants in den Docklands.

Wirtschaftlichen Mut bewiesen dagegen ausgerechnet die Deutschen. Erstmals gibt es an der Themse einen Kölner Weihnachtsmarkt: mit Gulasch, Sauerkraut, Germknödeln, Kölsch und – wenig authentisch – nur einem einzigen Glühweinstand. Das Projekt scheint sich sorecht nicht zu lohnen, zumindest beschwerten sich die Verkäufer über schlechte Umsätze und eine zu volle Stadt – typisch deutsch eben. Eine Neuentdeckung gab es dann aber doch: Krawatten aus Holz, die kamen allerdings nicht aus Good Old Germany, sondern waren Made in London.

Außerdem genossen wir das bunte Treiben in Nottinghill, gingen einen geführten London Walk zum Thema „Haunted London“ mit, der mir eine amtliche Erkältung beschert hat, gingen in Chinatown schlemmen und in Camdens Pubs feiern. London kann man ruhigen Gewissens dreimal im Jahr besuchen, genug Programm bietet diese lebendige Metropole.

Rob, die Eier-Uhr

Es gibt erstaunliche Geschäfte, vor Allem in London. Octopus ist eines von ihnen. Nach unserem Justiz-Walk war Covent Garden nur zehn Gehminuten entfernt. Im Herzen der Stadt unterhalten Kleinkünstler und Musiker das Publikum open Air oder in den Markthallen. Die Gegend bietet Restaurants für jeden Gaumen. Vor Allem aber kann sich der moderne Mensch, insbesondere der weibliche Teil dieser Spezies, hier in den Wahnsinn shoppen. Ein Highlight – für Frau und Mann: das bunte, verrückte, originelle Octopus-Angebot. Hier gibt es alles, was man im Alltag benötigt, Handtaschen, Uhren, Portemonaies. Der Unterschied zu gewöhnlichen Gift-Shops: hier sehen die Handtaschen wie Gießkannen aus, aus der Kuckucksuhr schnellt eine Kuh und aus der Geldbörse kommt einem eine Zunge entgegen. Alles ist quietschbunt, aus ungewohntem Material und durch die Bank sehr humorvoll. Ich freu mich schon drauf, demnächst in Rheinhold Messbechers Küche zu speisen. Denn dann wird Robert, der Piraten-Roboter, mit Samba-Rhythmen verkünden, dass das Essen fertig ist – Robert ist ein Küchentimer. Und gern wäre ich dabei, wenn die Frau meiner Träume ihr neuestes Schmuckstück erstmals auf einer Party ausführt. An ihrem schönen Hals wird dann ein Puppen-Auge ständig auf- und zuschwingen. Eigentlich müsste man schon allein des Einkaufens wegen alle drei Monate London besuchen. Mein letzter Besuch war das jedenfalls nicht.

Perücken im modernen London

Rheinhold Messbecher und ich hatten eine To-Do-Liste mit nach London gebracht: Wir wollten in den Docklands paddeln (hatten entweder ein Fax-Gerät oder eine volle Mailbox bei der Bookingline, schafften es auch diesmal nicht), wir wollten ins Globe Theatre (online konnte man nicht mehr buchen, waren dann halt bei Manu Chao, an Alternativen mangelt es in London ja nicht), wir wollten ein echt britisches Picknick machen (passte zeitlich nicht mehr) und wir wollten einen London Walk machen (und man glaubt es kaum, den machten wir). Am Montag fuhren wir mit der U-Bahn nach Holborn und trafen dort Richard, unseren Guide für die nächsten zwei Stunden. Sein Thema: „the inns of court“. Sieben Pfund kostete die Führung, fünf Pfund für Studenten und Rentner. Geld, das sich lohnte. Schon der Auftakt war beeindruckend. Nur ein, zwei Gehminuten brauchte Richard, um seine Zuhörer-Schar von der trubeligen, verkehrsreichen, hektischen Umgebung der Tube-Station in eine verwinkelte Gasse zu führen, in die kein Tourist eigenständig gestiefelt wäre. Plötzlich umgab uns eine für London unglaubliche Ruhe. Und so ging es die nächsten zwei Stunden weiter. Wir gingen immer mal wieder zügig über Hauptstraßen, um uns sofort auf Kopfstein-gepflasterten Gassen, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert hatten, in Park-Anlagen, wo Familien neben Büro-Arbeitern die Mittagssonne genossen, in duftenden Gärten, in der Temple-Church und vor den altwürdigen Gebäuden des englischen Justiz-Wesens wiederzufinden. Dort hielten wir, und Richard erzählte aus der Geschichte der Berufs-Verbände für Anwälte, über die Unterschiede zwischen dem englischen Rechtssystem und dem schottischen, über die verpflichtenden Dinners, an denen traditionell der Anwalts-Nachwuchs bis heute regelmäßig teilnehmen muss. Humorvoll berichtete er darüber, dass heute noch die Anwaltsgruppe der Solicitors um ihr Recht streiten, vor Gericht Perücken tragen zu dürfen, wobei gleichzeitig die Richter vor Zivilgerichten zukünftig auf die 300jährige Tradition verzichten – so gespannt kann das Verhältnis zwischen Tradition und Moderne in einem Land sein. Richard zeigte uns ein Fachgeschäft für Perücken, die je nach Anwaltsstatus zwischen 350 und 2000 Pfund kosten. Und wir lernten, dass sich J.K. Rowling mit ihren vier Häusern in Hogwards bei den vier Inns of Court bedient hat. Die Führung endete in den Royal Courts of Justice, einem sakralen Bau, in dem über 100 Gerichte untergebracht sind. Leider endete die Tour erst um 16.00 Uhr. Da hatten alle Richter bereits ihre Perücken abgelegt, sonst hätten wir uns am Timetable eine interessante Verhandlung raussuchen können und einem echt englischen Prozess zusehen können. Das muss dann wohl auf die To-Do-Liste für den nächsten London-Trip.

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