Sachen gibt’s. Am vergangenen Wochenende ist ein Auto in das Louis-braille-Center des BSVH gekracht. Und gekracht hat es gewiss. Steinsockel, Glasfassade, ein komplettes Büro unserer Hilfsmittelberaterinnen und eine Innenwand wurden zerstört. Gut, dass keine Mitarbeiter im Haus waren. Der Schreibtischstuhl war durch den Aufprall fest in einen Schrank gerammt. Die blindengerechten Sonderausstattungen der PC’s sind teilweise nur noch verstaubter Schrott. Der Fahrer oder die Fahrerin hatte sogar noch die nerven, wieder auszuparken. Das Auto wurde gefunden. Die Polizei ermittelt. Unsere Hilfsmittelausstellung mussten wir vorerst schließen. Eine provisorische Bürolösung sollte aber bis zum 16. Februar stehen, so dass wir ab diesem Datum ratsuchende sehbehinderte und blinde Menschen wieder informieren können: über sprechende Uhren, Farberkennungsgeräte, Telefone mit großbeschrifteten Tasten u.v.m. Die Vernisage von Armelle Mag, die am 11. Februar sein sollte, muss leider verschoben werden. Für uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heißt es, die nächsten Monate auf einer Baustelle zu arbeiten. Jou, wir schaffen das!
Kategorie: Berufliches
Blind im Medien-Job
Blinde Menschen in Medien-Berufen. Zu diesem Thema hat mich in der vergangenen Woche eine Journalistik-Studentin der Uni Hamburg interviewt. Für eine Recherche-Übung porträtiert Laura Schneider einen blinden Studenten der Medienwissenschaft. Als PR’ler und als Medien-Konsument wünsch ich mir, dass Journalisten immer soviel Freiheit und Zeit für die Artikel-Recherche hätten wie der Berufsnachwuchs an den Unis. Laura Schneider war perfekt auf das sehr spezielle Thema vorbereitet, hatte diverse Vorabmails an die Experten geschickt und war sehr interessiert. Auf mich war sie durch meine Mitarbeit im Leitungsteam der Fachgruppe Medien des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) aufmerksam geworden.
Einige von Schneiders Fragen und meine Antworten dazu:
1. Wieviele blinde Menschen studieren bzw. arbeiten in den Medien in Deutschland?
Hierzu gibt es kein belastbares Zahlenmaterial. In der Fachgruppe Medien des DVBS sind rund 100 blinde und sehbehinderte Medienschaffende zusammengeschlossen. Das Spektrum reicht von wissenschaftlichen Dokumentaren, über Rundfunk-Journalisten bis zu PR-Profis. Einige arbeiten hauptberuflich in diesen Bereichen, andere machen z. b. eine ehrenamtliche Radiosendung im Offenen Kanal oder im Internet. Insgesamt dürfte die Zahl aber gering sein. Das liegt daran, dass die meisten blinden Menschen erst im Alter ihr Augenlicht verloren haben und die Chancen sehbehinderter Menschen in den Medien – wie in allen Berufszweigen – sehr schlecht sind. Schätzungen zufolge sind überhaupt nur knapp 30 Prozent der Blinden im berufsfähigen Alter in einem regulären Arbeitsverhältnis.
2. Bieten alle Universitäten Deutschlands, wo man „etwas mit Medien“ studieren kann, das Studium auch für Blinde an?
Wenn man es als Blinder geschafft hat, an einer Förderschule oder integriert an einer Regelschule sein Abitur zu machen, dann kann man in Deutschland formal alles studieren. Härtefall-Regelungen setzen dabei sogar den Numerus Clausus außer Kraft. Speziell für Blinde wird kein studiengang angeboten. Überhaupt ist die Begleitung der behinderten Studenten von Uni zu Uni sehr unterschiedlich. An der einen Hochschule gibt es ein spezielles Förderzentrum, an anderen Bibliotheksräume mit blindengerechten PC’s, an anderen Unis nichts dergleichen. In der Praxis gibt es aber Studiengänge, die besser geeignet sind als andere. So ist sicherlich ein Studium mit dem Schwerpunkt visuelle Medien eher suboptimal, während viele blinde Menschen gerade beim Radio-Journalismus ihre sehenden Kommilitonen in die Tasche stecken könnten.
3. Gibt es häufig Beschwerden von Blinden bezüglich der Schwierigkeit, an Bildung oder Arbeit zu gelangen? Wie schätzen Sie die vom Staat zur Verfügung gestellten Möglichkeiten ein?
Immer wieder gibt es Probleme. Fachliteratur gibt es nicht in Brailleschrift. Wissenschaftliche Texte müssen aufwändig eingescannt oder aufgelesen werden. Wenn sehbehinderte Studies dann an einen nichtkooperativen oder planlosen Professor geraten, haben sie einen für die Seminarstunde relevanten Text nicht rechtzeitig lesen können. Oder das ergänzende Folienmaterial wird nicht zur nachträglichen Bearbeitung freigegeben. Das sind aber Ausnahmen. Von den rechtlichen Rahmen-Bedingungen und vom Alltag an den meisten Unis her kann man als blinder Mensch in Deutschland erfolgreich studieren. Die Probleme beginnen meist erst bei der Jobsuche und im Berufsleben. Infolge der Hartz-Reformen wurde die Arbeitsplatzvermittlung auch für behinderte Menschen weitgehend regionalisiert. Überforderte Agentur-Mitarbeiter sollen plötzlich blinde Akademiker in einen Medienjob bringen und scheitern dabei immer wieder. Hier muss dringend eine bundesweite, zentrale und kompetente Jobvermittlung für behinderte Studierte her. Vorurteile, Unwissenheit und Ängste bei vielen Arbeitgebern machen es uns enorm schwer, überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Dabei gibt es die Möglichkeit, bis zu 70% der Lohnkosten vom Staat tragen zu lassen. Hilfsmittel-Ausstattungen – wie Braillezeilen und sprechende PC’s – werden ebenfalls von der Arbeitsagentur übernommen. Problematischer ist da schon, dass in vielen Unternehmen regelmäßig neue Software installiert wird, neue Datenbanken erstellt werden usw. Und das häufig, ohne zu überprüfen, ob die blindenspezifischen Hilfsmittel damit funktionieren.
4. Kennen Sie bestimmte Arbeitgeber im Medienbereich, die ihre betrieblichen Strukturen so anpassen, dass blinde Menschen beschäftigt werden können?
Das Vorzeigeunternehmen schlechthin gibt es nicht. Was man sicher sagen kann, ist, dass es eher noch die öffentlichrechtlichen Anstalten sind, die sich an die Behindertenquote von fünf prozent halten. Ich selbst kenne wissenschaftliche Dokumentare, die in Rundfunkarchiven arbeiten oder blinde Nachrichtensprecher. Auch in der schreibenden Zunft gibt es den einen oder anderen blinden Journalisten. Ich kann nur jedem Unternehmer empfehlen, sich an einen Blinden- und Sehbehindertenverein wie dem BSVH zu wenden, wenn Fragen rund um die Integration von Mitarbeitern auftauchen.
5. Wo sehen sie Vor- bzw. Nachteile von blinden Menschen im Medienbereich (Studium und Beruf)?
Die Nachteile liegen vor allem im alltäglichen Umgang, in unausgesprochenen Vorurteilen und Berührungsängsten auf beiden Seiten. Das ist kein Spezifikum der Medienbranche, sondern ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem. Die Nachteilsausgleiche, die blinde Menschen an Unis eingeräumt werden (verlängerte Abgabefristen für Abschlussarbeiten, mehr Zeit für Klausuren usw.) sind keine Vorteile, sondern nötige Nachteilsausgleiche. Journalistische Arbeit bedeutet Zuhören, Verstehen, Nachfragen. Viele blinde Menschen sind Profis darin, Infos und Zwischentöne aus dem gesprochenen Wort herauszufiltern. Sie sind gewiss ebenbürtige Journalisten. Und – wie gesagt – Radio ist das Leitmedium für viele blinde Menschen. Nicht selten sind Amateur-Shows blinder Journalisten mit einer höheren Professionalität produziert als manch eine Massenware der sehenden Radioprofis. Da stimmt oft jeder Anschluss, Musik und gesprochenes Wort harmonieren, Jingles werden rhythmisch perfekt eingesetzt. Leider sind das Fähigkeiten, die immer weniger in den hochcomputerisierten Radiostudios benötigt werden.
Hoffen und Bangen
Während es aus Niedersachsen Nachrichten gibt, die blinde Menschen hoffen lassen, müssen die Betroffenen in Mecklenburg-Vorpommern weiter bangen. Aus Hannover heißt es, dass die Regierung eine Blindengeld-Erhöhung erwäge, so stand es zuletzt in der Nordwestzeitung. Das Land zahlt zurzeit mit 220 Euro das niedrigste Blindengeld der Republik. Die Schweriner Regierung möchte hingegen scheinbar weiter den entgegengesetzten Weg gehen und die Leistung von 546 auf 333 Euro senken. Im Sozialausschuss fand hierzu gestern eine Experten-Anhörung statt. Zu dieser schreibt DBSV-Direkt folgendes:
im Sozialausschuss des Landtags Mecklenburg-Vorpommern fand heute die öffentliche Anhörung über den Gesetzentwurf zur Kürzung des Landesblindengeldes statt. Renate Reymann, Präsidentin des DBSV, war als Zuhörerin dabei und sagte in einer ersten Stellungnahme: „Das war eine starke Vorstellung, die die Sachverständigen heute abgeliefert haben. Die Landesregierung wurde ganz deutlich in ihre Schranken gewiesen.“
Als Vertreter des Blinden- und Sehbehinderten-Vereins Mecklenburg-Vorpommern (BSVMV), des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) und des Vereins der Blindenwohlfahrt Neukloster sprachen Gudrun Buse, Uwe Boysen und Werner Sill vor dem Ausschuss. Sie hoben zum wiederholten Mal hervor, dass das Blindengeld unverzichtbar ist, um behinderungsbedingte Mehraufwendungen zu finanzieren und damit gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Außerdem wurde deutlich darauf hingewiesen, dass durch die Kürzung des Landesblindengeldes mit einer steigenden Zahl von Anträgen auf Blindenhilfe zu rechnen sei, was die angestrebten Einsparungen weitgehend zunichte machen dürfte.
Dass der vorliegende Gesetzentwurf eine sauber recherchierte Analyse der Lebenssituation blinder und sehbehinderter Menschen vermissen lässt, beklagte Dr. Martin Scriba von der Evangelischen Landeskirche Mecklenburg-Vorpommern, der sich gegen eine Kürzung des Landesblindengeldes aussprach. Genauso klar ist die Haltung des Integrationsförderrats und der LAG Selbsthilfe. Auf Nachfragen stellte sich heraus, dass auch die Mehrheit der im DPWV zusammengeschlossenen Verbände für die unveränderte Beibehaltung des Landesblindengelds ist.
„Wir hoffen sehr, dass der Sozialausschuss den Gesetzentwurf zurückweisen wird“, erklärte Renate Reymann. „Das wäre ein deutliches Signal dafür, dass blinde und sehbehinderte Menschen in diesem Land ernst genommen werden.“
Ein Auftakt nach Maß
Das Jubiläumsjahr hat begonnen. Am 4. Januar feierten blinde und sehbehinderte Menschen weltweit den 200. Geburtstag Louis Brailles. Die rund 3000 blinden und über 40.000 sehbehinderten Hamburgerinnen und Hamburger hatten noch einen Grund zum Feiern: der BSVH wurde gestern 100 Jahre alt. Diese zwei Gründe zum Feiern haben wir erfolgreich gewürdigt. Um 15.00 weihte Kultursenatorin von Welck den Louis-braille-Platz ein. Über 100 Menschen besuchten trotz Regen und Kälte den vorplatz der U-Bahn Hamburger Straße. Neben Frau von Welck würdigten der französische Konsul Tutin und der zweite Vorsitzende des BSVH Kißler die Leistung Brailles.
Im benachbarten Louis-Braille-Center, dem Dienstleistungszentrum des BSVH, feierten 350 Menschen das Vereinsjubiläum. Das kabarettistische Urgestein Hans Scheibner trat dort ebenso auf wie der Sänger Jochen Wiegandt, dessen plattdeutsche und hanseatische Volkslieder und Geschichten überraschend zeitlos daher kommen. Die Mitarbeiter und Helfer können stolz sein. Eine infrastrukturelle Meisterleistung ist geglückt. Der Partyservice Giffey verstand es großartig, unsere blinden und sehbehinderten Besucher zu bedienen – unaufdringlich und effektiv. Ein echter Hingucker war die Riesentorte, auf der in Blinden- und Schwarzschrift stand: „200 Jahre Louis Braille – 100 Jahre BSVH) und auf der leckere Hände die Punktschrift lasen. Das fand auch das Hamburg-Journal, das die Torte in der sonntagsausgabe zeigte.
Überhaupt war das Medien-Echo erfreulich: Welt, Abendblatt, Mopo, Kobinet und die TAZ berichteten (letztere sogar zweifach). Die ausführlichste Information bot NDR 90,3 mit einer Live-Schaltung, mit Kurzberichten in den Nachrichten und einer lebendigen Reportage am Montagmorgen. Ich danke allen Journalistinnen und Journalisten für die Zusammenarbeit.