Bürgerschaftswahl 2015: Hamburgs Parteien über Nachteilsausgleiche und Blindengeld

Die Parteien haben geantwortet. Wir vom Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg (BSVH) hatten ihnen zehn Fragen gestellt. Hier ihre Kernaussagen zum Thema Nachteilsausgleiche und Blindengeld:

SPD: Die Fortentwicklung der Eingliederungshilfe geschieht unter den Gesichtspunkten Personenzentrierung und Selbstbestimmung. Menschen mit Behinderung sollen in jeder Situation über ihre Belange möglichst eigenständig und autonom entscheiden können. Das Bundesleistungsgesetz wird derzeit auf Bundesebene erarbeitet. Hamburg hat sich bereits im Bundesrat dazu sehr engagiert eingebracht und ist an der Ausarbeitung des Gesetzes prominent beteiligt. Im Rahmen der Gesetzgebung wird auch die Entwicklung eines Bundesteilhabegeldes zu beraten sein. Bis dahin beabsichtigen wir keine Änderung beim Hamburger Nachteilsausgleich vorzunehmen.

CDU: Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist das Blindengeld in Hamburg überdurchschnittlich hoch. Veränderungen der Regelungen zum Blindengeld sind nicht geplant. Wir unterstützen nachdrücklich die Einführung eines Bundesteilhabegesetzes, mit dem die Leistungen der Eingliederungshilfe aus dem System der „Fürsorge“ herausgelöst und zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickelt werden sollen. Ziel ist eine Leistung, die sich am persönlichen Bedarf orientiert, unabhängig von Institutionen oder vom Wohnort der Betroffenen. Dabei sollen auch die bisherigen Vermögens- und Einkommensgrenzen überprüft werden.

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN: Das Landesblindengeld wollen wir für blinde und stark sehbehinderte Menschen erhalten. Allerdings setzen wir uns dafür ein, dass ein bundesweites einheitliches Teilhabegeld als Nachteilsausgleich eingeführt wird. Das grüne Teilhabegeld ist gestaffelt nach Grad der Teilhabeeinschränkung und soll (mit Ausnahme von anfallenden Heimkosten) nicht auf Leistungen der Eingliederungshilfe angerechnet werden und unabhängig von Einkommen und Vermögen gezahlt werden. Taubblinde sollen ebenfalls von dem Teilhabegeld profitieren.

FDP: Die FDP bekennt sich zum Erhalt des Blindengeldes in Hamburg. Für den Nachteilsausgleich von Menschen mit Behinderungen setzt sich die FDP grundsätzlich für eine stärkere Nutzung und Verbreitung des persönlichen Budgets ein, da Leistungen zum Nachteilsausgleich individuell an den jeweiligen Empfänger angepasst werden können und damit die persönlichen Lebensumstände jedes einzelnen besser berücksichtigt werden können, als bei der pauschalen Auszahlung eines Festbetrages. Die FDP zieht daher die Nutzung des persönlichen Budgets der Einführung weiterer Kategorien, wie Taubblindengeld oder Sehbehindertengeld, vor.

DIE LINKE: Die LINKE setzt sich seit Jahren dafür ein, dass das Bundesleistungsgesetz geändert wird. Die Leistungen der Eingliederungshilfe sollen unabhängig von den Einkommens-und Vermögensverhältnissen der Menschen mit Behinderung und ihrer Familien erbracht werden. Ein ergänzender Ausgleichsbeitrag soll dazu dienen, behinderungsbedingte, in der Leistungsbemessung der Eingliederungshilfe nicht weiter spezifizierte Bedarfe zu decken. Die LINKE wird sich in der nächsten Legislatur für eine gesetzliche Regelung einsetzen, damit stark sehbehinderte, taubblinde Menschen einen Nachteilsausgleich erhalten.

Im vorigen Blog-Post habe ich die Antworten zum Thema Barrierefreiheit im öffentlichen Raum zusammengefasst. Alle Fragen und Antworten finden Sie vollständig auf der Wahl-Sonderseite des BSVH.

Blindengeld: Schluss mit der Abwärtsspirale

Die Blindengeld-Sau wird mal wieder durch ein Dorf gejagt, diesmal durchs schleswig-holsteinische. Dort erwägt die schwarz-gelbe Landesregierung eine Kürzung. Und wie bereits in Mecklenburg-Vorpommern wird argumentiert, dass es andere Bundesländer gebe, in denen die Leistung niedriger ausfalle. Wann werden die Meinungsmacher in diesem Land endlich verstehen, dass man mit dieser Logik den Nachteilsausgleich auf null Euro drücken kann? Irgendwo ist er immer niedriger. Diese Abwärtsspirale muss endlich durchbrochen werden. Der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg hatte sich bei der letzten Bürgerschaftswahl vor zwei Jahren für eine Erhöhung des Blindengeldes in der Hansestadt stark gemacht. Und immerhin ist die Leistung seitdem um ca. 15 Euro monatlich gestiegen. Das war ein kleiner Erfolg, der aber durch skrupellose, kurzsichtige Politiker in Hamburgs nördlichem Nachbarland torpediert wird.

Blindengeld ist eine Leistung, die Menschen bekommen, die dem Gesetz nach blind sind: Sie sehen auf dem besseren Auge weniger als zwei prozent. Mit dem Geld sollen Betroffene in die Lage versetzt werden, einige Nachteile auszugleichen. Die Gesellschaft ist voller Barrieren. Um ein einigermaßen selbstständiges und integriertes Leben führen zu können, legt das Sozialgesetzbuch XII in §72 einen finanziellen Mehrbedarf von 608,96 Euro fest. Dennoch zahlt Hamburg derzeit nur 463,92 Euro, Schleswig-Holstein 400 und Niedersachsen sogar nur 265 Euro an blinde Menschen im Monat.

Das hört sich vielleicht immer noch viel an. Ist es aber bei genauerem Hinsehen nicht. Wofür nutzen blinde Menschen wie ich das Geld?

Begleitpersonen: Leider ist unsere Gesellschaft nicht so organisiert, dass wir überall allein, selbstständig und unbeschwert unterwegs sein können. Theater- und Konzert-Besuche sind für viele Betroffene nur in Begleitung möglich. Ein paar Tage Urlaub kosten gleich das Doppelte, wenn man eine (fremde) Begleitung mitnehmen muss. Die meisten blinden Menschen sind im Senioren-Alter. Sie sind relativ neu mit der Situation konfrontiert. Sie haben keine oder wenige Angehörige. Sie wünschen sich Unterstützung im Haushalt, bei Einkäufen, für einen Spaziergang. Diese Menschen brauchen Blindengeld, um ihre Assistenten zu bezahlen.

Taxi-Fahrten: Stellen Sie sich vor, sie könnten keine Straßenschilder und Bus- und Bahn-Anzeigen mehr lesen. Sie wüssten nicht, ob Sie sich gerad an einer Kreuzung mit oder ohne Ampel befinden. Fremde Wege sind für die meisten blinden Menschen nicht machbar. Muss ich zu einem Facharzt, bei dem ich noch nie war, oder zu einem Amt, dann brauche ich ein Taxi.

Blindenschrift: Braille-Bücher sind teuer und brauchen viel Platz. „Der Herr der Ringe“ kostet zum Beispiel 307 Euro und umfasst 15 Punktschrift-Bände – jeder Band ist ca. 35 x 30 x 7 cm groß. Vom Blindengeld kann ich mir Bücher – die Auswahl ist sehr klein – leisten. Hinzu kommen Zeitschriften in Braille. Lesen zu können, das ist einge Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, für Bildung, berufliche Chancen. Jede Blindengeld-Kürzung verringert die ohnehin zu geringen Chancen vieler blinder Menschen in Deutschland.

Hilfsmittel: Es gibt viele Produkte, die blinden Menschen den Alltag erleichtern. Das Spektrum ist weit und reicht von Markierungspunkten, um das Waschmaschinen-Programm selbst einstellen zu können (ca. 7 Euro), bis zu sprechenden Computern mit einer Braillezeile (bis 10.000 Euro). Was jeder Einzelne braucht, weiß der Betroffene selbst am besten.

Das war die große Errungenschaft des Blindengeldes: Blinde Menschen konnten mit dem Geld einige Barrieren überwinden, an der Gesellschaft teilhaben und es für die individuellen Bedürfnisse verwenden. Politiker, die das Blindengeld infragestellen, stellen das gesellschaftliche Miteinander von blinden und sehenden Menschen infrage.

Blind im Medien-Job

Blinde Menschen in Medien-Berufen. Zu diesem Thema hat mich in der vergangenen Woche eine Journalistik-Studentin der Uni Hamburg interviewt. Für eine Recherche-Übung porträtiert Laura Schneider einen blinden Studenten der Medienwissenschaft. Als PR’ler und als Medien-Konsument wünsch ich mir, dass Journalisten immer soviel Freiheit und Zeit für die Artikel-Recherche hätten wie der Berufsnachwuchs an den Unis. Laura Schneider war perfekt auf das sehr spezielle Thema vorbereitet, hatte diverse Vorabmails an die Experten geschickt und war sehr interessiert. Auf mich war sie durch meine Mitarbeit im Leitungsteam der Fachgruppe Medien des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) aufmerksam geworden.

Einige von Schneiders Fragen und meine Antworten dazu:

1. Wieviele blinde Menschen studieren bzw. arbeiten in den Medien in Deutschland?

 

Hierzu gibt es kein belastbares Zahlenmaterial. In der Fachgruppe Medien des DVBS sind rund 100 blinde und sehbehinderte Medienschaffende zusammengeschlossen. Das Spektrum reicht von wissenschaftlichen Dokumentaren, über Rundfunk-Journalisten bis zu PR-Profis. Einige arbeiten hauptberuflich in diesen Bereichen, andere machen z. b. eine ehrenamtliche Radiosendung im Offenen Kanal oder im Internet. Insgesamt dürfte die Zahl aber gering sein. Das liegt daran, dass die meisten blinden Menschen erst im Alter ihr Augenlicht verloren haben und die Chancen sehbehinderter Menschen in den Medien – wie in allen Berufszweigen – sehr schlecht sind. Schätzungen zufolge sind überhaupt nur knapp 30 Prozent der Blinden im berufsfähigen Alter in einem regulären Arbeitsverhältnis.

2. Bieten alle Universitäten Deutschlands, wo man „etwas mit Medien“ studieren kann, das Studium auch für Blinde an?

Wenn man es als Blinder geschafft hat, an einer Förderschule oder integriert an einer Regelschule sein Abitur zu machen, dann kann man in Deutschland formal alles studieren. Härtefall-Regelungen setzen dabei sogar den Numerus Clausus außer Kraft. Speziell für Blinde wird kein studiengang angeboten. Überhaupt ist die Begleitung der behinderten Studenten von Uni zu Uni sehr unterschiedlich. An der einen Hochschule gibt es ein spezielles Förderzentrum, an anderen Bibliotheksräume mit blindengerechten PC’s, an anderen Unis nichts dergleichen. In der Praxis gibt es aber Studiengänge, die besser geeignet sind als andere. So ist sicherlich ein Studium mit dem Schwerpunkt visuelle Medien eher suboptimal, während viele blinde Menschen gerade beim Radio-Journalismus ihre sehenden Kommilitonen in die Tasche stecken könnten.

 

3. Gibt es häufig Beschwerden von Blinden bezüglich der Schwierigkeit, an Bildung oder Arbeit zu gelangen? Wie schätzen Sie die vom Staat zur Verfügung gestellten Möglichkeiten ein?

 

Immer wieder gibt es Probleme. Fachliteratur gibt es nicht in Brailleschrift. Wissenschaftliche Texte müssen aufwändig eingescannt oder aufgelesen werden. Wenn sehbehinderte Studies dann an einen nichtkooperativen oder planlosen Professor geraten, haben sie einen für die Seminarstunde relevanten Text nicht rechtzeitig lesen können. Oder das ergänzende Folienmaterial wird nicht zur nachträglichen Bearbeitung freigegeben. Das sind aber Ausnahmen. Von den rechtlichen Rahmen-Bedingungen und vom Alltag an den meisten Unis her kann man als blinder Mensch in Deutschland erfolgreich studieren. Die Probleme beginnen meist erst bei der Jobsuche und im Berufsleben. Infolge der Hartz-Reformen wurde die Arbeitsplatzvermittlung auch für behinderte Menschen weitgehend regionalisiert. Überforderte Agentur-Mitarbeiter sollen plötzlich blinde Akademiker in einen Medienjob bringen und scheitern dabei immer wieder. Hier muss dringend eine bundesweite, zentrale und kompetente Jobvermittlung für behinderte Studierte her. Vorurteile, Unwissenheit und Ängste bei vielen Arbeitgebern machen es uns enorm schwer, überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Dabei gibt es die Möglichkeit, bis zu 70% der Lohnkosten vom Staat tragen zu lassen. Hilfsmittel-Ausstattungen – wie Braillezeilen und sprechende PC’s – werden ebenfalls von der Arbeitsagentur übernommen. Problematischer ist da schon, dass in vielen Unternehmen regelmäßig neue Software installiert wird, neue Datenbanken erstellt werden usw. Und das häufig, ohne zu überprüfen, ob die blindenspezifischen Hilfsmittel damit funktionieren.

4. Kennen Sie bestimmte Arbeitgeber im Medienbereich, die ihre betrieblichen Strukturen so anpassen, dass blinde Menschen beschäftigt werden können?

Das Vorzeigeunternehmen schlechthin gibt es nicht. Was man sicher sagen kann, ist, dass es eher noch die öffentlichrechtlichen Anstalten sind, die sich an die Behindertenquote von fünf prozent halten. Ich selbst kenne wissenschaftliche Dokumentare, die in Rundfunkarchiven arbeiten oder blinde Nachrichtensprecher. Auch in der schreibenden Zunft gibt es den einen oder anderen blinden Journalisten. Ich kann nur jedem Unternehmer empfehlen, sich an einen Blinden- und Sehbehindertenverein wie dem BSVH zu wenden, wenn Fragen rund um die Integration von Mitarbeitern auftauchen.

5. Wo sehen sie Vor- bzw. Nachteile von blinden Menschen im Medienbereich (Studium und Beruf)?

Die Nachteile liegen vor allem im alltäglichen Umgang, in unausgesprochenen Vorurteilen und Berührungsängsten auf beiden Seiten. Das ist kein Spezifikum der Medienbranche, sondern ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem. Die Nachteilsausgleiche, die blinde Menschen an Unis eingeräumt werden (verlängerte Abgabefristen für Abschlussarbeiten, mehr Zeit für Klausuren usw.) sind keine Vorteile, sondern nötige Nachteilsausgleiche. Journalistische Arbeit bedeutet Zuhören, Verstehen, Nachfragen. Viele blinde Menschen sind Profis darin, Infos und Zwischentöne aus dem gesprochenen Wort herauszufiltern. Sie sind gewiss ebenbürtige Journalisten. Und – wie gesagt – Radio ist das Leitmedium für viele blinde Menschen. Nicht selten sind Amateur-Shows blinder Journalisten mit einer höheren Professionalität produziert als manch eine Massenware der sehenden Radioprofis. Da stimmt oft jeder Anschluss, Musik und gesprochenes Wort harmonieren, Jingles werden rhythmisch perfekt eingesetzt. Leider sind das Fähigkeiten, die immer weniger in den hochcomputerisierten Radiostudios benötigt werden.

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