Regression und Authentizität: Gedanken über das Phänomen Lena

Musikkenner verzweifeln: „Das ist langweiliger Mainstream-Pop – und singen kann sie auch nicht!“ Kosmopoliten machen sich lustig: „Das ist doch kein Englisch!“ Die antideutsche Linke ist angewidert: „Überall Schwarz-Rot-Gold…Die ist ja nur beliebt, weil sie keinen Migrationshintergrund hat“. Und wirklich scheint in Deutschland der Lenationalismus ausgebrochen zu sein. Ein Land feiert eine ganz normale 19-jährige Frau aus Hannover. Warum nur?

Ich gestehe es: Lena gefällt mir bei Facebook, Ich hab ihr Album und ich hab mich am Samstag sehr über ihren Sieg gefreut und ihn – wenn auch maßvoll – auf der Reeperbahn gefeiert. In Zeiten wie diesen, in denen ein Sparwahnsinn dem nächsten folgt und dabei das Blindengeld unter sich begräbt, in der Öl die Natur verschmutzt, die Bundespolitik nur noch krisenhaft um sich selbst kreist, da freut sich der Medien-Konsument, der ich auch bin, über positive Nachrichten. Und eine positive Nachricht ist es, wenn eine sympathische junge Frau wie Lena den Eurovision-Songcontest gegen stereotype und langweilige Konkurrenz gewinnt. Ich bin froh, dass ich in einem Land lebe, in dem es nicht nur die No Angles, „Deutschland sucht den Superstar“ oder ähnliche Grausamkeiten gibt, sondern auch überdurchschnittliche Pop-Musik, vergleichsweise menschliche TV-Formate wie „Unser Star für Oslo“ und natürlich auftretende junge Künstler wie Lena.

Alle sprechen von Lenas Natürlichkeit, ihrer Authentizität. Zurecht. Es ist ja nicht die Regel im deutschen Fernsehen, dass man Stars und vermeintlichen Sternchen abnimmt, was sie da tun, dass sie Humor haben und einfach drauf los quatschen, wie man es mit 19 eben tut, dabei aber nicht dumm, sondern jugendlich-witzig bleiben.

Lenas Authentizität traf auf eine perfekt inszenierte Uninszeniertheit. Stefan Raab und seine geschickte PR im Vorhinein des Wettbewerbs dürften einen erheblichen Anteil am Erfolg der Hannoveranerin gehabt haben. Tapio Liller bringt es im Nebelhorn auf den Punkt:

In den Fachdebatten über Social-Media-Kommunikation wird gern recht akademisch über Authentizität, über Echtheit im Auftritt diskutiert. Was mir persönlich dabei oft zu kurz kommt ist der Faktor „sich selbst nicht bierernst nehmen“. Es ist diese „mir doch egal, was die anderen denken“-Haltung, die Menschen „echt“ und „sympatisch“ rüberkommen lässt. Bei Lena war es die Portion „Wahnsinn“, wie Raab mal als Jurypräsident von USFO sagte.

 

Über diesen Wahnsinn darf man sich freuen. Man darf in Zeiten der politischen Depression und wirtschaftlichen Krise auch mal ein bisschen abtauchen in die Erinnerungen an Kindheitstage vor dem Fernseher, als man vergeblich auf 12 Punkte wartete. Und wenn die Regression nicht ganz soweit zurückführen soll, dann genießt man die Albernheiten von Stefan Raab, die sich heute nur unwesentlich von seiner Vivasion-Zeit unterscheiden.

Dass Lenas Ausstrahlung und die Raab’sche Vermarktung in unsere Zeit passen haben die vielen Punkte aus Skandinavien, dem Baltikum, der Slowakei und vielen anderen Ländern gezeigt. Selbst der Blog des englischen Guardian zeigte sich entzückt. Dort hieß es am Samstag zu Lenas Auftritt britisch-ironisch-charmant.

Lena, her name is, and you’ll be hard pushed to find anybody more endearing on the face of the planet right now. Look at her, bobbing around and mispronouncing words like a pocket-sized Bjork. She’s adorable. This probably isn’t the place to admit it, but I think I might love Lena a little bit.

Or, to put it in a way she’ll understand, I ‚lawfe‘ her.

Fundraising: In Deutschland noch 1.0

Selbsthilfe braucht Spenden. So ist auch der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg (BSVH) maßgeblich auf Spenden und Erbschaften angewiesen. Vom 14. bis 16. April fand in Fulda der diesjährige Fundraising-Kongress statt. Rund 700 Spendensammler aus dem deutschsprachigen Raum trafen sich zu Workshops und Seminaren und lauschten Vorträgen. Dabei standen Fragen nach Erwartungen und Wünschen (potenzieller) Spender im Focus. Weiterhin wurde diskutiert, wie Fundraising professionalisiert und optimiert werden kann.

Der Wettbewerb auf dem Spendenmarkt ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Sie kennen das aus Ihrem eigenen Briefkasten. Immer mehr Organisationen werben um Ihre Unterstützung. Neben der Großzahl seriöser Anbieter, sind es zunehmend intransparente Stiftungen und werbewirksame Medien-Aktionen, die es kleineren Vereinen schwer machen, Neuspender zu erreichen. Hinzu kommt eine Internationalisierung, so dass immer mehr Geld an Organisationen im EU-Ausland oder in den USA fließen. Somit sind die hiesigen Organisationen gezwungen, neue Wege zu gehen.

Ein neuer Weg ist sicherlich das Web 2.0. Mit eindrucksvollen Beispielen zeigte Klaus Eck in seinem Workshop über Social Media, wie erfolgreiche Kampagnen auf Twitter, Facebook und Youtube aussehen können. Dennoch scheint das Thema viele Kongress-Teilnehmer immer noch eher zu verschrecken statt zu begeistern. „Das MÜSSEN wir ja auch mal irgendwie machen“, war noch eine der euphorischeren Reaktionen. Die Skepsis gegenüber dem Mitmach-Netz zeigte sich schon daran, dass es keine Facebook- oder Twitter-Seite zum Kongress gab, von einer Twitterwall ganz zu schweigen. Für viele Fundraiser scheint das Internet immer noch vor allem ein Zeitfresser zu sein, für den keine Arbeitszeit frei ist. Das ist ein großer Fehler: die Zahl der Onliner steigt rasant, der Altersdurchschnitt im Netz steigt, das Web wird zur Informations- und Meinungsquelle Nr. 1. Hier sollten wir Öffentlichkeitsarbeiter und Fundraiser der guten Sache zukünftig verstärkt über unsere gesellschaftlich so bedeutenden Organisationen berichten, Projekte vorstellen und den Kontakt zur Öffentlichkeit halten. Tun wir das nicht, wird zum Beispiel der Blinden- und Sehbehinderten-Selbsthilfe in den nächsten Jahrzehnten die finanzielle Grundlage wegbrechen. Werden Sie dann blind oder sehbehindert, kann Ihnen kein Verein mehr mit Hilfe, Rat und Zuversicht zur Seite stehen.

Blog-Wichteln: Gedanken

Hurra, endlich kommt die Mail vom Blogwichteln. Wen habe ich erwischt … nein, wer hat mich erwischt :-).

Ich klicke den Link und lande hier, bei Heiko. Blind-PR? Hmm, das ist bestimmt wieder so ein Blog, geschrieben vermutlich von einem Marketing Menschen, der von seinem Alltag bei der Agentur schreibt. Sowas wie Public-Relations im Blindflug. Was ich dann aber entdecke lässt mich erst stutzen, dann bin ich überrascht und werde nachdenklich.

Bloggen als Blinder? Okay, als Sehender macht man sich selten Gedanken, ob und wie Sehbehinderte oder blinde Menschen sich im Internet bewegen. Ich werde neugierig. Gibt es da Vorleseprogramme? Oder Braille-Displays für Webseiten? Wieviel weiss ich von der Arbeit eines Blinden am Computer? Ich habe schon einmal so eine Braille-Zeile unter einer Tastatur gesehen, in der kleine Stifte die jeweilige Zeile darstellen können, mehr aber nicht.

Was ist mit Grafiken, Design?

Schlechtes Gewissen: Braucht das Blog dazu besondere Einstellungen? Ist *mein* Blog dafür geeignet, auch blinde Leser anzuziehen? Wie kommen Blinde überhaupt auf neue Webseiten? Wenn ich eine Seite besuche, mache ich mir visuell einen ersten Eindruck und entscheide vom ersten Überfliegen, ob ich öfter hier vorbei schaue. Wieviel mehr Zeit muss man aufwenden, wenn man dies nicht kann?

Vorbei *schauen*? Ich merke, wie durchsetzt von visuellen Ausdrücken doch unsere Sprache ist.

Wie stellt sich ein Blinder Farben vor? Für mich ist blau gleich blau, grün ist immer grün. Wie erfühlt ein Blinder die Farbenpalette? Abgesehen davon, dass ja niemand wirklich weiss, ob mein blau auch das blau meines Mitmenschen ist. Vielleicht ist dein blau ja mehr so … gelb? 😉

Ich hinterlasse hier viele Fragen und wenige Antworten. Ich denke einige Antworten kann man erhalten, wenn man hier regelmässiger mitliest.

Ausserdem sollten wir uns vielleicht alle mehr Gedanken machen und Fragen stellen … nicht nur uns selbst betreffend.

Formspring.me: Fragen mal anders

Viele Menschen haben Fragen, wenn Sie blinden Menschen begegnen: Wie kannst Du arbeiten? Seit wann bist Du blind? Wie orientierst Du Dich? Wie träumst Du? Gehen Dir die Fragen über Deine Blindheit auf die Nerven?

Meine persönliche Erfahrung ist, dass es eine Scheu gibt, diese Fragen zu stellen (ich will Dich doch behandeln wie jeden Anderen). Meine Erfahrung zeigt aber auch, dass der Umgang viel unverkrampfter wird, wenn die Fragen gestellt werden können. Eine Web-2.0ige Art des Frage-und-Antwort-Spiels bietet der Dienst Formspring.me an. Klicken Sie sich doch einfach mal auf meine Formspring.me-Seite und fragen Sie drauf los, nur Mut. Sie erfahren etwas und ich werde zum Nachdenken gebracht – und Spaß macht es auch.