Perspektiven (12): Von unsozialen Kürzungen und beruflichen Chancen

Schleswig-Holsteins Landesregierung aus CDU und FDP will das Blindengeld halbieren. Marc von Kopylow hat für die Lübecker Nachrichten eine 80jährige blinde Frau befragt, wofür sie den finanziellen Nachteilsausgleich benötigt. Dabei wird eines klar: Eine Kürzung bedeutet weniger Selbstständigkeit und weniger Teilhabe am gesellschaftlichen Leben:

Während die Kasse nur normale Lupen finanziert, braucht Wera Zimmermann spezielle Lupen, die sich auch noch schnell verbrauchen. Eine sprechende Körperwaage und sprechenden Uhren, ein Monokular, eine Fernsehlupenbrille und eine Brille mit Kantenfiltergläsern musste Zimmermann komplett selbst bezahlen. Das Bildschirmlesegerät erleichtert der Schwarzenbekerin vieles, doch länger als eine halbe Stunde schafft sie sich nicht durch die wackelig zu lesenden Großbuchstaben von normalen Texten zu hangeln. Oft sind ihr da schon zehn Minuten zu anstrengend. Und Bilder lassen sich nur dort anschauen. Von ihrer Kasse, so erzählt sie, hätte es nur ein Schwarz- Weiß-Gerät gegeben, mit schlechten Einstellmöglichkeiten. Zimmermann musste für bunte Bilder und bessere Bedienung des Gerätes 1000 Euro dazu bezahlen. Regelmäßige Kosten entstehen dadurch, dass Zimmermann eine Hilfe braucht, die sie zum Einkaufen fährt und ihre Wohnung reinigt. Und zweimal im Jahr gönnt sich die alleinstehende Frau für jeweils zehn Tage eine Fahrt in ein Blindenhotel in Timmendorf. Das kostet mit etwas Programm jeweils um die 750 Euro. Für Zimmermann, deren Töchter weit weg wohnen, ist das die Chance, ihre vier Wände zu verlassen und unter Menschen zu kommen, die Verständnis für ihre starke Sehbehinderung haben. Zimmermann weiß, dass immer mehr alte Leute von Blindheit betroffen sind. Sollte die Halbierung des Blindengeldes kommen, verbleiben ihr nur 83 Euro im Monat.

Viele nichtbehinderte Menschen können sich nur schwer vorstellen, wie sehbehinderte und blinde Menschen Ausbildung und Beruf meistern. Dass mit den geeigneten Hilfsmitteln und in einem Klima der Offenheit sogar Topleistungen möglich sind, zeigt folgende Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung vom 3. September 2010:

Fachangestellter für Medien und Informationsdienste von der IHK ausgezeichnet Peter Hahling, sehbehinderter Auszubildender des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte, hat den besten Abschluss als Fachangestellter für Medien und Informationsdienste (FaMI) seines Jahrgangs in Hessen erreicht. Für seine herausragenden Leistungen wurde er gestern Abend von der Industrie und Handelskammer (IHK) Frankfurt am Main ausgezeichnet. Im Rahmen eines Festaktes wurden insgesamt 230 Absolventinnen und Absolventen aller IHK-Ausbildungsberufe des Bezirks Frankfurt, die mit sehr gut bestanden haben, geehrt.

Schon seit 15 Jahren bildet das DIPF Blinde und Sehbehinderte aus und kooperiert dabei eng mit der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte. Die behinderten Auszubildenden sind bestens integriert und die Bedingungen sind hervorragend, beschreibt Peter Hahling die Grundlage des Erfolgs. Während seiner Lehrzeit profitierte er beispielsweise von Computern mit Spezialsoftware oder verschiedenen Vergrößerungshilfen. Seit 1995 haben am DIPF 18 Blinde oder Sehbehinderte ihre Ausbildung zum FaMI oder ihr Volontariat zum Wissenschaftlichen Dokumentar gemeistert.

2006 erreichte die blinde Auszubildende Ursula Hartmann sogar den besten FaMI-Abschluss in ganz Deutschland. Ob dies Peter Hahling möglicherweise erneut gelungen ist, steht noch nicht fest. Die Ehrung der bundesweit besten Auszubildenden erfolgt im Dezember in Berlin. Zunächst freut sich der FaMI aber erst einmal, dass er direkt im Anschluss an seine Ausbildung vom DIPF übernommen wurde.

In „Perspektiven“ stelle ich lesenswerte Beiträge rund um Augenerkrankungen, Sehbehinderung und Blindheit vor. Viele weitere Linktipps erhalten Sie von mir via Twitter.

Blindengeld: Sparkurs alternativlos

Die NDR-Journalistin Dagmar Pepping hat auf meinen Brief reagiert. Sie schrieb mir heute:

Sehr geehrter Herr Kunert,

vielen Dank für Ihren Brief. Es tut mir leid, dass Ihnen mein Kommentar zum Sparpaket der schleswig-holsteinischen Landesregierung nicht zugesagt hat.

Sie schreiben, ich hätte in meinem Kommentar die Kürzung des Landesblindengeldes „begrüßt“. Dem ist keineswegs so. Ich habe in meinem Text lediglich diverse Sparvorhaben der Koalition aufgezählt: Neben der Streichung des kostenlosen 3. Kitajahres, der Heraufsetzung des Pensionsalters für Polizisten auch die Kürzung des Landenblindengeldes. Ob diese einzelnen Vorhaben gerechtfertigt bzw. sozial ausgewogen sind, habe ich in meinem Kommentar nicht bewertet. Dass die Landesregierung einen strikten Sparkurs einschlägt, um Schleswig-Holstein vor der Pleite zu retten, halte ich jedoch für alternativlos.

Selbstverständlich wird NDR Info in den kommenden Monaten die Details des Sparpaketes kritisch beleuchten und hinterfragen, ob die Maßnahmen angemessen sind oder nicht.

Mit freundlichen Grüßen,

Dagmar Pepping

Redakteurin NDR Info

Blindengeld: Antwort auf einen NDR-Kommentar

Es gibt manchmal Kommentare in den Medien, die kann ich nur als zynisch bezeichnen. Konkret hat mich ein Kommentar des NDR zu den Sparplänen in Schleswig-Holstein dazu bewogen folgende Mail an die Redakteurin Dagmar Pepping zu verschicken:

Sehr geehrte Frau Pepping,

ich nehme Bezug auf Ihren Kommentar zu den Sparplänen in Schleswig-Holstein . Sie begrüßen hierin u.A. die drastische Kürzung des Blindengeldes. Ich selbst bin blind.

Sie schreiben u.A., dass Schleswig-Holstein über seine Verhältnisse gelebt habe. Das trifft beim Blindengeld definitiv nicht zu. Im Gegenteil: der dringend benötigte Nachteilsausgleich fällt mit 400€ bereits jetzt deutlich niedriger aus als der im Sozialgesetzbuch definierte Mehrbedarf von rund 600€. Das Blindengeld wurde bereits mehrfach gekürzt.

Ihrer Bewertung der Sparpläne liegt zugrunde, dass Sie sagen, dass alle Bürger betroffen seien. Ich bezweifle aber, dass dies gleichermaßen für alle Betroffenen gilt. Während z. B. die Landespolitiker mit dem späteren Pensionsalter und geringeren Diäten sicherlich auch weiterhin ein menschenwürdiges Leben führen können, wirkt sich eine Halbierung des Blindengeldes in Sachen Selbstständigkeit der blinden Menschen deutlich negativer aus. Ganz praktisch bedeutet das, dass man sich weniger oder keine Blindenschriftbücher mehr kaufen kann (sie kosten rund das Zehnfache von Schwarzschriftbüchern), man nicht mehr das Theater oder Konzerte besucht, weil man sich keine Begleitperson mehr leisten kann, aus demselben Grund nicht mehr verreist. Man kann nicht länger selbstständig zum Arzt, zu Behörden oder zu Freunden fahren, weil man sich kein Taxi mehr leisten kann.

Über 40 Prozent der blinden Menschen sind 80 Jahre und älter. Die allermeisten von ihnen sind erst im hohen Alter erblindet. Für sie ist der Verlust des Augenlichts eine persönliche und seelische Krise. Das Blindengeld kann ein bisschen dazu beitragen, aus dieser Krise herauszukommen. So können die Betroffenen z. B. davon sprechende Uhren oder Küchenwaagen usw. kaufen. und somit einen Teil ihres bisherigen Lebens eigenständig fortführen.

Ich wünsche mir, dass Sie und NDR Info diese konkreten Auswirkungen der Sparpolitik ebenfalls thematisieren. Gern stehe ich Ihnen hier in meiner Funktion als zuständiger Mitarbeiter für die Pressearbeit beim Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg mit Infos zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,

Heiko Kunert

Schleswig-Holstein: Blindengeld vor dem Aus

Aus einer Kürzung wird schnell eine Streichung. Das gilt insbesondere für Sozialleistungen. War in Schleswig-Holstein zunächst eine 10-prozentige Reduzierung des Landesblindengeldes im Gespräch, legt die schwarz-gelbe Regierung nun nach. Sozialminister Heiner Garg (FDP) befürwortete gegenüber dem Blinden- und Sehbehindertenverein Schleswig-Holstein eine Streichung des Nachteilsausgleiches. Im Nachbarland Mecklenburg-Vorpommern hatten seine liberalen Partei-Kollegen noch vehement gegen eine Kürzung gestritten. Es macht halt einen Unterschied, ob man in der Opposition oder in der Regierung ist. Die unsoziale Politik der Landesregierung stößt auf energischen Widerstand der Selbsthilfe-Organisationen. Protest-Aktionen werden geplant. Sehbehinderte und blinde Menschen aus Schleswig-Holstein und dem Umland können sich in eine Aktiven_Liste eintragen. Hierzu hinterlassen Sie einfach Ihre E-Mailadresse und Ihre Telefonnummer auf dem Anrufbeantworter unter 0 45 22 / 764 92 66, oder Sie senden eine Mail mit Ihren Kontaktdaten an blindengeld@bsvsh.org.

Mehr Infos zum Thema gibt es auf der Homepage des Hamburger Blinden- und Sehbehindertenvereins.