Ein gutes Ende

Zwischen Weihnachtsgans und Süßigkeiten-Bergen einerseits und dem arbeitsreichen Start ins Jubiläumsjahr 2009 andererseits wollte ich nochmal raus. Ab ging es nach Berlin und Brandenburg: Theater, Hauptstadttrubel und Frischluft standen an.

Die bezaubernde Anna und ich schauten uns die Möwe von Anton Tschechow in der Volksbühne an. Ich kannte das Stück nicht, mein Fable für russische Autoren ließ mich aber optimistisch in die Vorstellung gehen. Und in der Tat verflogen die drei Stunden im Flug. Unglückliche Liebe, ländliche Tristesse und künstlerische Misserfolge ergeben bei Tschechow ein erstaunlich buntes, humorvolles und tiefgründiges Gemisch. Die Inszenierung war sehr schlicht, kaum Musik, eine kleine Bühne. Die Schauspieler standen eindeutig im Zentrum. Und sie spielten sehr emotional. Vielleicht würde manch ein Kritiker sagen zu emotional, mit zuwenig Zwischentönen. Nichtsdestotrotz hat sich die Reise schon für den Theaterabend gelohnt.

Am Dienstag zogen wir durch die trubelige Hauptstadt, in der es scheinbar keine Berliner gibt: Sachsen, Dänen, Holländer und vor Allem Spanier waren überall, aber Berliner… Unter Anderem gingen wir in die Kuppel der neuen Synagoge in Mitte. Es machte mich wütend und traurig, als ich dort von der Geschichte des Hauses und seiner Gemeinde hörte. Die Verwüstungen in der Pogromnacht 1938, das Herausreißen der Torarollen aus den Schreinen, das Unterdrücken der jüdischen Religion und Kultur. Und es ist ein Triumph der Zivilisation, dass die Synagoge 1988 wieder aufgebaut wurde und sich wieder ein Wahrzeichen von Berlin nennen kann. Aber wie fragil dieser Triumph der Zivilisation ist, zeigen die Sicherheitskontrollen am Eingang. Metalldetektoren und Kontrollen wie am Flughafen zeigen, dass Judentum auch heute kein ganz normaler Teil unserer Gesellschaft ist.

Sonnenschein satt begleitete uns von Montag bis Mittwoch. Ein Silvestermorgen in der Nähe von Königs Wusterhausen war ein winterlich-romantischer Ausklang für den Kurztrip. Klare Luft, Wald und ein See. Zart zwitscherten die daheim gebliebenen Vögel in den kahlen Baumkronen. In der Ferne knallte gelegentlich ein Feuerwerkskörper. An meiner Seite ein so wundervoller Mensch. 2008 endete großartig, ein Ende, das Kraft und Mut gibt für ein spannendes, kreatives und inspirierendes 2009! Selbiges wünsche ich auch allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs!

Aller guten Dinge sind drei

Aller guten Dinge sind drei, sagten sich Rheinhold Messbecher und ich und flogen erneut nach London. Diesmal nicht mit dem vollen Touri-Programm, sondern primär um die gute alte Welt- und WamS-Tina zu besuchen, die seit August UK-Wirtschaftskorrespondentin ist. Das ist sie in spannenden Zeiten: sie berichtet über staatliche Events, auf denen einstige Banker zu Lehrern umgeschult werden. Sie trifft Finanzmanager, die mithilfe eines Coaches, Sprich: eines Psychotherapeuten, gerade noch aus der persönlichen Krise befreit wurden. Und sie berichtet von prognostizierten 370.000 verlorenen Jobs allein in London und von einem ausgestorbenen Banken-Viertel, von leeren Restaurants in den Docklands.

Wirtschaftlichen Mut bewiesen dagegen ausgerechnet die Deutschen. Erstmals gibt es an der Themse einen Kölner Weihnachtsmarkt: mit Gulasch, Sauerkraut, Germknödeln, Kölsch und – wenig authentisch – nur einem einzigen Glühweinstand. Das Projekt scheint sich sorecht nicht zu lohnen, zumindest beschwerten sich die Verkäufer über schlechte Umsätze und eine zu volle Stadt – typisch deutsch eben. Eine Neuentdeckung gab es dann aber doch: Krawatten aus Holz, die kamen allerdings nicht aus Good Old Germany, sondern waren Made in London.

Außerdem genossen wir das bunte Treiben in Nottinghill, gingen einen geführten London Walk zum Thema „Haunted London“ mit, der mir eine amtliche Erkältung beschert hat, gingen in Chinatown schlemmen und in Camdens Pubs feiern. London kann man ruhigen Gewissens dreimal im Jahr besuchen, genug Programm bietet diese lebendige Metropole.

ICE-Menschen

Mitmenschen im ICE nach Frankfurt sind immer wieder eine Überraschung, zumal in der familiären Atmosphäre eines Sechser-Abteils. Drei dynamische Damen im Gespräch: „Ein Möhrchen zum Abendbrot reicht mir.“ „Ich brauch zwei Becher Kaffee und drei Zigaretten zum Frühstück.“ „Ich habe gestern ein Viertel Paprika eingefroren. Da hab ich Sonntag noch eine Gemüsepfanne zuhaus.“ „In Nagelstudios arbeiten nur schlecht ausgebildete Personen.“ „Ich wohne in Frankfurt im Hotel Hamburger Hof. Ich dachte, das klingt nach Heimat.“

In Hannover kommt der hessische Geschäftsmann mit reichlich Gepäck. Ein Gepäck-Stück fällt von der Ablage – auf eine der drei dynamischen Damen. Der Herr: „Darf ich Ihnen eine Salbe anbieten, die ich auf Reisen immer dabei habe, weil man sich dabei immer einmal verletzen kann. Ich hole Ihnen Eiswürfel aus dem Bistro.“

Schließlich noch der vietnamesische Loi, der seit sechs Wochen in Hamburg lebt. „Als Ingenieur für Schiffsbau finde ich in Frankfurt keinen Job. Im Juni gehe ich nach Shanghai – Chinesisch ist für mich einfacher als deutsch.“

Und der blinde PR’ler auf dem Weg zum Seminar: „Mein Handy spricht. Mein PC auch…“ Mal schauen, was die Rückfahrt am Dienstag so zu bieten hat.

Howie im Harz

Gut, der Harz hat nicht gerad den Ruf, ein hippes und junges Reiseziel zu sein. Aber vielleicht gefällt es mir deswegen dort so gut. Schon als ich aus dem Zug aussteige, begeistert mich die frische Bergluft. Es duftet nach Wald, nach feuchten Böden und klaren Winden. Ich bin in Bad Sachsa. Familie Trevor hat mich eingeladen, mit ihr vier gemeinsame Tage zu verbringen. Schön, das glückliche Ehepaar hier zu treffen, mit ihm über menschenleere, unfassbar ruhige Wanderwege zu stiefeln und den Sonnenschein zu genießen. Tante Trevors Eltern haben in der Uffe-Stadt (komisch, dass der Ort mit einem Fluss wirbt, den kein Mensch kennt) eine Ferien-Wohnung. Und die hat es in sich. Am schönsten sind die über 20 Jahre alten Kassetten, die hier – wahrscheinlich seit über 20 Jahren liegen – und darauf warten gespielt zu werden. Das Warten hat sich für sie gelohnt. Howie hat Dank der „Ein Herz für Kinder 1987“-MC seinen zehnten Frühling in Bad Sachsa – und wir drei haben bis heute einen verstörenden Ohrwurm und ein „Dadadadada – Disch“ auf den Lippen, das bei unseren Mitmenschen nur ein verwundertes Lächeln hervorruft. Zwischendurch hat der Südharz aber auch ganz andere Klänge für uns parat. Der Markt der Nationen bringt uns am Samstag Nachmittag Irish Folk von der anständigen Sorte zu Gehör, dazu wird Guinness serviert. Seit meinen Irland-Reisen ist das für mich der Inbegriff von Urlaub: Folk, Pint und Frischluft. Schön, dass man das auch in Norddeutschland haben kann.