„Leben ist Leiden“, soll schon der alte Buddha gesagt haben. Recht hatte er. Der Hals ist wund, der Husten bricht sich Lawinenartig seine Bahn. Der Schnupfen sprengt sich seinen Weg in eine von Pfefferminzöl und Hustensaftduft erfüllte Wohnung. Der fiebrige Körper schwitzt, friert und glüht im minütlichen Wechsel. Erstmals gehe ich aufgrund einer Krankheit nicht ins Louis-Braille-Center zur Arbeit. Ich leide vor mich hin, schlafe gefühlte 30 Stunden am Tag, wache nur auf, um nach synthetisch gesüßtem Tymian schmeckende Medizin zu schlucken, Bananen und Mandarinen zu essen und die nötigsten Mails zu beantworten. Was für ein leben. Und doch kann ich irgendwie verstehen, was Thomas Mann bewegt haben muss, als er den Zauberberg schrieb, sein grandioses Meisterwerk über das Leben in Krankheit, die Auseinandersetzung mit der körperlichen Begrenztheit des Menschen und der Chance, sich aus ihr in geistige Höhen zu erheben. Gut, letzteres ist mir nach zwei Tagen Grippe noch nicht gelungen. Und ich hoffe auch nicht, dass ich am Ende wie Hans Castorp sieben Jahre ins Sanatorium muss. Erstmal lege ich mich mal wieder hin.
Kategorie: Alltägliches
Ü30 auf dem Spielplatz
Ein Tag „nur für Erwachsene“ auf einem Indoor-Spielplatz, das klingt etwas befremdlich. Und ich gestehe es, als Tante Trevor anlässlich ihres Geburtstages ins Rabatzz nach Stellingen einlud, war ich zunächst skeptisch. „Das ist doch Kinderkram“, habe ich gedacht und: hört die Infantilisierung der Gesellschaft denn nie auf?“ Und doch sagte ich zu – Tante Trevor könnte ihren Geburtstag auch in einem Stummfilmkino oder in einer Bilder-Gallerie feiern, ich würde kommen; man hat nicht viele Freunde vom Schlage der Trevors!
Und so fanden wir uns am Donnerstag Abend im Rabatzz ein. Zunächst war ich überrascht, wie voll es dort schon vor dem Eingang war. Drinnen hieß es erstmal die Schuhe ausziehen. Und langsam kam die Kinder-Geburtstagsstimmung auf, die unsereins Mitte der 80er Jahre zum letzten Mal gefühlt hatte. Das wurde durch die Menüs, aus denen wir wählen konnten, noch verstärkt: Spaghetti mit Sauce, Bratwurst mit Pommes, Chicken Nugets mit Pommes oder Salamipizza. Dazu wurde Apfelschorle gereicht. Und um uns herum tobten die Kinder. Nur waren diese alle zwischen 20 und 40. Sie und wir krochen durch Labyrinthe, balancierten auf mehr oder minder hohen Seil- und Wackel-Brücken, setzten mit Mini-booten auf dem Grund des Wasserbeckens auf, rutschten zehnmal die über 30 Meter lange Rutsche herunter (gerade, zu zweit, zu zehnt, manche von uns quer, andere im Stehen), sprangen auf Trampolinen und in Hüpfburgen, prügelten mit Gummi-Knüppeln aufeinander ein, schaukelten in Hänge-Sesseln, bewarfen uns mit Bällen. Und alle waen ganz ungeniert, manche beinah ernsthaft, dabei. Schön waren auch die Ausrufe über die Lautsprecher: „Die Klasse 49B trifft sich an der Kasse….Der kleine Lulatsch soll zum Ausgang kommen…“ Drei Stunden vergingen wie im Flug. Mein Fazit: Ja, der Abend war Kinderkram. Ja, die Infantilisierung der Gesellschaft schreitet unaufhörlich voran. Und: es hat Riesenspaß gemacht – Danke Tante Trevor
Post 100
Gut, eigentlich könnte ich jetzt noch eine Seite für unsere Homepage erstellen. Ich könnte auch bei einigen Politikern für die Belange blinder und sehbehinderter Menschen bei sog. Shared-Space-Flächen werben. Ich könnte auch einen Führhundhalter suchen, damit eine Journalistin ihn begleiten kann. Ich könnte auch noch die Einweihungsparty für den Louis-Braille-Platz vorbereiten, die am 4. Januar stattfinden soll. Ich könnte auch endlich mal meine Über-Mich-Seite bei Xing aktualisieren. All das tue ich jetzt aber nicht. Ich prokrastiniere lieber: das soll man so! Und ich gratuliere mir lieber selbst zum 100. Blind-PR-Eintrag! So schnell geht das.
ICE-Menschen
Mitmenschen im ICE nach Frankfurt sind immer wieder eine Überraschung, zumal in der familiären Atmosphäre eines Sechser-Abteils. Drei dynamische Damen im Gespräch: „Ein Möhrchen zum Abendbrot reicht mir.“ „Ich brauch zwei Becher Kaffee und drei Zigaretten zum Frühstück.“ „Ich habe gestern ein Viertel Paprika eingefroren. Da hab ich Sonntag noch eine Gemüsepfanne zuhaus.“ „In Nagelstudios arbeiten nur schlecht ausgebildete Personen.“ „Ich wohne in Frankfurt im Hotel Hamburger Hof. Ich dachte, das klingt nach Heimat.“
In Hannover kommt der hessische Geschäftsmann mit reichlich Gepäck. Ein Gepäck-Stück fällt von der Ablage – auf eine der drei dynamischen Damen. Der Herr: „Darf ich Ihnen eine Salbe anbieten, die ich auf Reisen immer dabei habe, weil man sich dabei immer einmal verletzen kann. Ich hole Ihnen Eiswürfel aus dem Bistro.“
Schließlich noch der vietnamesische Loi, der seit sechs Wochen in Hamburg lebt. „Als Ingenieur für Schiffsbau finde ich in Frankfurt keinen Job. Im Juni gehe ich nach Shanghai – Chinesisch ist für mich einfacher als deutsch.“
Und der blinde PR’ler auf dem Weg zum Seminar: „Mein Handy spricht. Mein PC auch…“ Mal schauen, was die Rückfahrt am Dienstag so zu bieten hat.