Ein Zitat

„Verzückte Poeten haben mir vorgesungen, die Sprache sei arm, ach, sie sei arm – o nein, mein Herr! Die Sprache dünkt mich, ist reich, ist überschwenglich reich im Vergleich mit der Dürftigkeit und Begrenztheit des Lebens. Der Schmerz hat seine Grenzen: der körperliche in der Ohnmacht, der seelische im Stumpfsinn, – es ist mit dem Glück nicht anders. Das menschliche Mitteilungsbedürfnis aber hat sich Laute erfunden, die über diese Grenzen hinweglügen.“

Thomas Mann: Enttäuschung

Bilder zum Fühlen

Das liest man selten auf einer Bilder-Ausstellung: „Berühren ausdrücklich erwünscht“. Armelle Geydet malt Bilder für Augen und Finger – und sogar für die Ohren. Als ich erstmals von Geydets Kunst hörte, war ich überrascht. Was soll man denn bei gemalten Bildern ertasten können? Skulpturen, Reliefs, all das ertaste ich gern – und selbst das ist in den meisten Museen streng verboten. Aber irgendetwas wird sich die Künstlerin dabei gedacht haben. Originell jedenfalls ist ihr Angebot. Vielleicht ergibt sich aus ihm ja ein Ausflug für unsere blinden und sehbehinderten Vereinsmitglieder. Also fuhr ich zusammen mit einer sehenden Kollegin ins Kinderkrankenhaus nach Altona, wo zurzeit einige Werke Geydets ausgestellt sind. Zunächst ertastete ich das Bild, und erst dann ließ ich mir den virtuellen Eindruck von meiner Kollegin beschreiben. Und es war spannend, wie häufig unsere Eindrücke sich ähnelten. „Dieser Bereich fühlt sich sandig an“, sagte ich. „Er sieht auch so aus“, antwortete sie. Bei einem anderen Bild: „Wenn ich meine Hände hierüber gleiten lasse, machen sie automatisch Wellen-Bewegungen.“ „Es ist blau und sieht nach Meer aus.“ Geydet malt mit acryl-Farbe, die sie für ihre abstrakten Bilder verwendet. Sie schafft dabei nicht nur optisch wirkungsvolle Kunst, sondern – ich frage mich, ob von vornherein beabsichtigt oder rein zufällig – Relief-Landschaften, mal mit rauhen, scharf-kantigen Felsen, mal weich und beinah klebrig, mal rund und glatt. Würfel und Kreuze sind immer wieder zu ertasten, die entweder massiv, mit groben Rändern im Zentrum des Bildes stehen oder über den Rand hinaus flüchten. Und ganz nebenbei entdeckte ich, dass sich die Farben auch noch unterschiedlich anhörten. Strich ich mit meinen Händen über den hellen Teil des Bildes entstand ein zartes Rauschen, glitt ich über den dunklen Teil, klang es verkratzt und nach Stein. Das war endlich mal eine Kunst-Ausstellung nach meinem Geschmack.