Hamburgs Rathaus: Pracht voller Barrieren

Hamburgs Volksvertreter tagen im Rathaus. In dem Prachtbau sitzen Bürgerschaft und Senat. Bisher hat der behinderte Teil der Bevölkerung so seine Schwierigkeiten, die demokratisch gewählten Parlamentarier zu besuchen, den Sitzungen zu lauschen oder an einer touristischen Führung teilzunehmen. Der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg (BSVH) hat während des Wahlkampfes 2008 bereits auf diesen Missstand hingewiesen. Es gründete sich in der aktuellen Legislatur-Periode eine Kommission zum Thema.

Heute waren Vertreter von Gehörlosen-, Schwerhörigen- und Blinden- und Sehbehindertenvereinen zu Gast bei der Kommission – darunter unser zweiter Vorsitzender Hilding Kißler und ich. Am deutlichsten wird die fehlende Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer, gibt es doch bisher keinen Fahrstuhl, den Betroffene selbstständig nutzen können. Stattdessen müssen sie in Begleitung eines Rathaus-Bediensteten einen schwer zu erreichenden Aufzug benutzen. Grund für die Regelung: Sicherheitsbedenken. Aber auch schwerhörige Menschen haben Probleme z. B. einer Rathaus-Führung akustisch zu folgen. Bisher ist das Personal nicht im Umgang mit gehörlosen oder blinden Besuchern geschult. Führungen werden im Eiltempo durchgezogen. Da bleibt keine Zeit, einmal die prächtigen Säulen der Rathausdiele zu ertasten oder die kunstvolle Gestaltung der Festsäle in Worte zu fassen. „Wie Sie hier sehen…“ ist die gängige Floskel der Guides.

Eine Führung für uns zeigte heute Vormittag diese Probleme. Es wird ernsthaft – so mein Eindruck nach zweieinhalb Stunden des Gedankenaustauschs – überlegt, wie man z. B. ausführlichere Führungen anbieten kann, die auch behinderten Menschen einen Eindruck der Rathaus-Geschichte und -Architektur vermitteln können. Auch über eine bessere Auffindbarkeit des Einganges für blinde und sehbehinderte Menschen haben wir gesprochen – ggf. durch einen tastbaren Leitstreifen auf dem Boden zwischen U-Bahn und Gebäude. Weitere Ideen: Ein hörbarer Rathausplan auf CD, Schulungen des Personals im Umgang mit behinderten Besuchern, kontrastreiche und sichtbare Beschilderungen, blendfreie Beleuchtung, Umbauten zugunsten einer deutlicheren Akustik. Es bleibt zu hoffen, dass nicht der überwiegende Teil der Ideen am Ende dem Denkmalschutz oder der vermeintlich prekären Finanzlage der Hansestadt zum Opfer fällt. Dass an der heutigen Sitzung die führenden Sozialpolitiker von CDU, SPD und GAL sowie der Bürgerschaftspräsident teilnahmen deutet darauf hin, dass das Thema Barrierefreiheit in den oberen Etagen der Hamburger Politik angekommen ist. Und das ist ein Fortschritt.

Autor: Heiko Kunert

Heiko Kunert (44) ist Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg und selbst blind. Er ist Vorstandsmitglied der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen, der Stiftung Centralbibliothek für Blinde, der Norddeutschen Blindenhörbücherei und der Erich-Quenzel-Stiftung, sowie Mitglied im Verwaltungsrat der Verbraucherzentrale Hamburg. Er ist freier Journalist und engagiert sich für Inklusion und Barrierefreiheit.

2 Kommentare zu „Hamburgs Rathaus: Pracht voller Barrieren“

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