Lieber @HSV, wann wird Deine Website barrierefrei?

Fußball-Fans haben es nicht immer leicht. In meinem Fall kommt erschwerend hinzu, dass mein Vater leidenschaftlicher FC-Bayern-Anhänger war und dass ich 1976 geboren wurde. Diese unglückliche Gemengelage brachte es mit sich, dass ich in einer Zeit meine Trotzphase durchlebte, in der Bayern und der Hamburger Sportverein große Rivalen im Kampf um die Deutsche Meisterschaft waren. Was soll ich sagen? Seitdem bin ich HSV-Fan.

Und das ist, wie gesagt, nicht immer ganz leicht. Der Sieg von Athen 1983 war ja noch recht hübsch oder der DFB-Pokal-Erfolg 1987. Die vier Jahre Dauerkarte von 1997 bis 2001 hatten auch ihren Reiz – zumindest hatte man zweiwöchentlich einen Grund, sich zu besaufen.

Aber die letzten Jahre… Die Spiele der Schmach gegen Bremen in 2009 und die Relegationen 2014 und 2015 waren echt übel. Das Bangen, das Leiden, angespannt, mit Kopfhörern und dem Sport1.fm-Kommentar im Ohr auf dem Sofa. Fluchend, am Ende vor Glück jubelnd. Das war die Hölle für mich – und wohl auch für meine Frau und unsere Katze.

So, lieber HSV! Ich mach hier diesen ganzen Quatsch jetzt seit fast 40 Jahren mit – und von 90 Mio. € Schulden und verlorenen Rucksäcken haben wir ja noch gar nicht gesprochen – und da dachte ich, dass es Dir gut zu Gesicht stehen würde, mal etwas zurückzugeben. Ich liebe Twitter – und Du ja seit vorigem Jahr auch. Zumindest hat Dein Social-Media-Team ordentlich zugelegt. Es beantwortet inzwischen auch Fragen: Welche Spieler verletzt sind, ob das Training öffentlich ist.

Ich dachte mir, ich frag mal, ob Du, lieber HSV, als größter Sportverein der Stadt mit Deiner Tradition und alledem nicht mal Deine Website überarbeiten willst, so, dass auch blinde Menschen wie ich diese nutzen können.

Vielleicht weißt Du ja gar nicht, dass wir mit Hilfe von sog. Screenreadern auch im Web surfen – sei es am Windows-PC oder mit dem iPhone. Eine Sprachausgabe liest die Inhalte vor, auf einer Braillezeile erscheint der Bildschirminhalt in Blindenschrift und was für sehende Menschen die Maus, sind für mich Tastenkombinationen.

Damit das aber richtig funktioniert, müssen Regeln beim Erstellen der Website berücksichtigt werden: Grafiken und Schaltflächen brauchen Alternativ-Texte, Überschriften müssen im HTML als Headlines ausgezeichnet werden usw. Das alles ermöglicht mir das eigenständige Surfen im Web.

Doch Deine Website, lieber HSV, Du mein einzigwahrer Lieblingsverein bis in den Tod, Deine Website ist eine Katastrophe, was ja auch wieder irgendwie zum Fußball der letzten Jahre passt. Allein schon die Vorschaltseite, die mich in Empfang nimmt, signalisiert: „Blinder Nutzer, Du musst leider draußen bleiben“. Dabei zeigt Dein Konkurrent Wolfsburg, dass so eine Vorschaltseite auch so gestaltet sein kann, dass der Screenreader erkennt, wohin die angezeigten Links führen. Aber mal ehrlich, wen interessiert denn Wolfsburg?

Ich frag Dich also über Twitter, ob Du nicht barrierefrei werden willst. Und ich biete Dir auch gleich die Lösung für Dein Problem an. Wir vom Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg betreiben eine Beratungsstelle für barrierefreies Internet (der Werbeblock: Wenn Sie, Ihre Agenturen, Ihre Unternehmen barrierefreie Websites haben und damit die 150.000 blinden, 1,2 Mio. sehbehinderten und 10 Mio. behinderten Menschen in Deutschland erreichen wollen, dann melden Sie sich bitte bei mir, Sie finden mich auf Twitter). Wir könnten Dir, lieber HSV, also helfen, im Web endlich barrierefrei zu werden.

Aber leider reagierst Du nicht auf dieses grandiose Angebot. Kein Reply, kein Like. Gut kann ja mal untergehen, denke ich, vielleicht hatte gerad der Praktikant Dienst. Also, frage ich nach, nochmal via Twitter. Wieder nix, keine Antwort.

Also, nicht gerade das, was man eine klassische Erfolgsgeschichte nennt. Aber vielleicht wird sie das ja noch, wenn ich die Geschichte in meinem Blog veröffentliche und Sie diese über Twitter fleißig verbreiten – vielleicht reagiert der HSV ja dann. Und wenn nicht, muss ich meinem geliebten Lieblingsverein wohl doch einen Brief schreiben – ist halt ein Traditionsclub.

(Dieser Text war mein Beitrag zum Galaabend der Social Media Week 2016)

Autor: Heiko Kunert

Heiko Kunert (44) ist Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg und selbst blind. Er ist Vorstandsmitglied der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen, der Stiftung Centralbibliothek für Blinde, der Norddeutschen Blindenhörbücherei und der Erich-Quenzel-Stiftung, sowie Mitglied im Verwaltungsrat der Verbraucherzentrale Hamburg. Er ist freier Journalist und engagiert sich für Inklusion und Barrierefreiheit.

3 Kommentare zu „Lieber @HSV, wann wird Deine Website barrierefrei?“

Hinterlasse eine Antwort

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

%d Bloggern gefällt das: