Technik, die integriert

Allmählich trudeln sie ein: die Antworten der Parteien auf Fragen des Blinden- und Sehbehindertenvereins. Sie kommen per Post oder Mail. Und trotzdem kann ich sie lesen.

Die CDU-Geschäftsstelle beantwortet postalisch. Ich halte vier Papier-Seiten in der Hand. Papier, leicht rauh, aber keine erhabenen Punkte in Blindenschrift. Ich lege die Seiten nach und nach auf meinen Scanner. Geduldig surrt er, liest die Seiten ein. Eine Software wandelt die gescannten Bilder in Text um. Mein Computer spricht, synthetisch, schnell – ungeschulte Ohren verstehen kein Wort. Ich verstehe, dass die Union die Kürzung des Landesblindengeldes weiterhin für richtig hält, die Schaffung eines zentralen Jobcenters für schwerbehinderte Arbeitslose als Fortschritt empfindet und die Förderung des UKE auch sehbehinderten und blinden Menschen zugute kommen soll.

Die moderne Technik hilft mir auch, die Antworten von GAL und FDP zu verstehen. Sie kommen per E-Mail. Bei den Grünen als PDF, bei der FDP als Word-Dokument. Auch hier hilft mein PC. Auf ihm ist ein sog. Screenreader installiert, der den Bildschirminhalt so ausliest, dass er für mich in Sprache umgewandelt werden kann. Zusätzlich zeigt eine Braille-Zeile den Text in Blindenschrift an. Die kleinen Stäbchen stellen Blindenschrift dar, die nach ihrem Erfinder Louis Braille benannt ist.

Dass blinde Menschen den Computer nutzen können, ist ein großer Fortschritt. Hierdurch und durch das Internet stehen uns Informationen zur Verfügung, die früher unerreichbar waren. Noch vor fünfzehn Jahren waren wir auf gedruckte Zeitschriften in Blindenschrift angewiesen, die nur wenig Information enthielten – Blindenschrift braucht sehr viel Platz. Und sie waren nicht aktuell, so kamen Artikel aus Stern und Zeit erst ein bis zwei Wochen nach ihrem Original-Erscheinen bei uns im Briefkasten an. Alternativ gab es Bücher und Zeitschriften auf Kassette, die auch nicht tagesaktuell hergestellt werden konnten. Außerdem dauerte es Minuten bis man sich zum gesuchten Artikel gespult hatte. Heute gibt es DAISY: Digital Accesible Information System: CDs, die MP3-Dateien und Zusatz-Infos enthalten, so dass gezielt Abschnitte, Kapitel und Seitenzahlen angesteuert werden können. Endlich können wir im Spiegel blättern. Und es gibt das Internet: allmorgendlich lese und höre ich mich am Rechner durch die Online-Angebote von TAZ, Mopo, Welt… Dank des technischen Fortschritts bin ich so gut informiert wie meine sehenden Kollegen.

Autor: Heiko Kunert

Heiko Kunert (44) ist Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg und selbst blind. Er ist Vorstandsmitglied der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen, der Stiftung Centralbibliothek für Blinde, der Norddeutschen Blindenhörbücherei und der Erich-Quenzel-Stiftung, sowie Mitglied im Verwaltungsrat der Verbraucherzentrale Hamburg. Er ist freier Journalist und engagiert sich für Inklusion und Barrierefreiheit.

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