Energetischer Trübsinn

Am Dienstag schrieb die Mopo über das Editors-Konzert: „ein recht merkwürdiges Schauspiel bei jedem nachfolgenden Stück: Fan goutiert das Intro mit einem Jubelschrei, hopst etwa 20 Sekunden euphorisch drauflos und verfällt sodann in andächtige Zuschau-Starre. Bei allem guten Willen und trotz des bebenden Baritons von Sänger Tom Smith – der Funke will hier einfach nicht überspringen.“ Hier ist dringend eine Kritik der Konzert-Kritik geboten.

Ich frage mich, ob die Kollegen der Mopo auf dem selben Konzert wie Julia, die von Musik und Konzerten weitestgehend viel versteht, und ich waren? Das Editors-Konzert, auf dem wir am Sonntag waren, war geprägt von einer unglaublichen Euphorie des Publikums, von druckvoller Musik, die dennoch düster war. Die Fans jubelten schon bei den Vorbands – für Hamburger Verhältnisse – enthusiastisch. Und bei den Editors gab es kein Halten mehr – und nicht nur in den ersten zwanzig Sekunden. Wahrscheinlich mussten die Mopo-Journalisten nach 20 Sekunden zu ihrem nächsten Konzert-Termin. Denn bei fast jedem Solo gingen die Hände in die Höhe, jeder Scherz des Lead-Sängers wurde mit überwältigendem Applaus gewürdigt.

Die Editors sprechen ein Generationsgefühl an. Wie sagte Julia so schön und verwundert? „Das sind ja alles Erwachsene hier!“ Erwachsene, die dafür sorgten, dass das Konzert – obwohl die Band erst im November in Hamburg gewesen war – ausverkauft war. Erwachsene, die mitsangen und klatschten, dass sich die Balken bogen. Was macht die Band aus? Gut, es stehen ausschließlich studierte Musiker auf der Bühne. Man merkt es, weil jeder feinste Break sitzt, die musikalische Spannung niemals verloren geht. Es ist aber noch mehr. Die Mischung aus Energie und Trübsinn ist bemerkenswert. Waviger kann Musik von heute nicht sein. Und vielleicht ist es der Soundtrack einer Generation, die weiß, dass diese Welt voll von Etschütterung, Unsicherheit und Tod ist, die aber trotzdem das Leben genießen und voran kommen möchte.

Links zum Thema

Mopo-Artikel zum Editors-Konzert: http://archiv.mopo.de/archiv/2008/20080318/hamburg/kultur/eine_mega_musiknacht.html

Offizielle Editors-Homepage: http://www.editorsofficial.com/

Autor: Heiko Kunert

Heiko Kunert (44) ist Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg und selbst blind. Er ist Vorstandsmitglied der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen, der Stiftung Centralbibliothek für Blinde, der Norddeutschen Blindenhörbücherei und der Erich-Quenzel-Stiftung, sowie Mitglied im Verwaltungsrat der Verbraucherzentrale Hamburg. Er ist freier Journalist und engagiert sich für Inklusion und Barrierefreiheit.

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