Nach 30 Jahren: Der Krebs ist zurück

Und plötzlich schlägt das Schicksal zu. Ziemlich genau 30 Jahre nachdem mein zweites Auge entfernt wurde, also ziemlich genau 30 Jahre nachdem hierdurch mein Augentumor entfernt wurde, ist der Krebs zurück. Diesmal in der Blase.

Anfang dieses Monats erhielt ich die Diagnose, eine seltene Form eines bösartigen Blasentumors. Stellten die Ärzte zunächst in Aussicht, dass ein Teil der Blase erhalten werden könnte, raten die Onkologen inzwischen aber eindringlich davon ab – zu gefährlich.

Und somit stehe ich vor einem erneuten großen Wandel in meinem Leben. In der kommenden Woche, am Mittwoch, verliere ich also meine Blase. Und dann Chemotherapie, vielleicht auch Bestrahlung. Das hängt von den Gewebe-Proben ab, die bei der Operation entnommen werden.

Das Leben kann sich so schnell ändern. Ich jedenfalls werde einige Wochen ins Krankenhaus gehen. Drücken Sie mir die Daumen, wenn Sie mögen, beten Sie für mich, dass alles den Umständen entsprechend gut verläuft, und ich bald wieder auf dem Damm bin. Und genießen Sie das Glück des Alltags!

Apropos, Glück: Gerade in so schwierigen Zeiten ist es ein großes Glück, Menschen an seiner Seite zu wissen, die man liebt und die einen lieben. Die bezaubernde Anna und ich haben uns am Montag verlobt – eine Motivation mehr, möglichst schnell wieder gesund zu werden.

Wir lesen uns hoffentlich schon bald wieder. Bleiben Sie mir treu.

Schlingensief-Lesung: Wir wollen leben

Drei Stunden sprach er, ohne Pause, voller Energie, bissigem Humor und Menschlichkeit. Christoph Schlingensief war vergangenen Samstag im Thalia Theater. Der Abend, der als Lesung angekündigt war, entpuppte sich als Rund-um-Schlag. Schlingensief erinnerte sich und seine Fans an seine ersten kontroversen Filme der 80er Jahre, an den Wahlkampf mit Chance 2000 und an seine Jahre bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth. Dieser Rückblick war sehr unterhaltsam, zum Beispiel als Schlingensief aus Briefen von Gudrun Wagner vorlas, in denen sie von ihrer eitrigen Zahnwurzel-Entzündung fabulierte. Aber der Abend hatte auch etwas von einem Resümée am Ende eines Künstler-Lebens. Hier wurde ein Vermächtnis formuliert. Christoph Schlingensief ist schwer krebskrank.

Schon mit seiner Kirche der Angst verarbeitete Schlingensief seine lebensbedrohliche Krankheit offensiv. Das tat er auch am Samstag. Er berichtete über Metastasen, die sich plötzlich bilden und sich wieder zurückbilden, von starken Medikamenten, die Impotenz verursachen, von seiner verzweifelten Wut. Krebskranke Menschen sind keine nette Abendgesellschaft, mit der man Spaß hat. Dennoch plädierte Schlingensief eindrücklich dafür, schwer kranke Arbeitskollegen oder Bekannte zu besuchen, ihnen zuzuhören, für sie da zu sein. „Wir lieben das Leben!“, so Schlingensief, der glaubt, dass es im Himmel nicht so schön sein kann wie hier auf Erden.

Schlingensief hat einen Traum, aus dessen Verwirklichung er Kraft schöpft: Er möchte in Afrika, voraussichtlich in Burkina Faso, ein Festspielhaus bauen. Seine Vision: ein Ort, an dem die Bevölkerung ihre Kunst entwickeln, umsetzen und online archivieren kann, so dass auch wir sie im Netz sehen und von ihr lernen können. Zurzeit sammelt er Gelder für seine Idee. Diesem Zweck diente auch die Lesung im Thalia Theater. Und wenn ich die vielen Menschen, die nach der Veranstaltung 50-Euro-Scheine in Briefumschläge packten, richtig deute, ist eine Verwirklichung des Festspielhauses Afrika sehr wahrscheinlich. „Kommt doch auch mal nach Burkina Faso, wenn wir dort kleine Pensionen haben“, sagte Christoph Schlingensief zu Anna und mir beim Signieren seines Buches. „Sind nur sechs Stunden von Paris aus.“ Wir im Westen reflektierten nur noch uns selbst. Stattdessen sollten wir uns besser anderen Kulturen und Schöpfungsprozessen öffnen.

Ich wünsche mir, dass Schlingensief für diese Idee noch lange wird streiten können und dass wir ihn in Burkina Faso wieder treffen.

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