Blind in Skandinavien

Wir neigen dazu, Reiseländer durch eine rosarote Brille zu betrachten. Überall auf der Welt erscheinen die Menschen freundlicher als daheim, überall sei die Landschaft schöner, das Klima milder. Dabei ist wohl ein Gutteil Projektion, schließlich sind wir im Urlaub entspannt, fröhlich, neugierig. Könnten wir uns diese Einstellung zuhaus bewahren, kämen uns Hamburg, Berlin und Bielefeld gleich viel freundlicher vor. Dennoch glaube ich, dass wir Deutschen im Umgang mit behinderten Menschen vom Ausland lernen können.

Wie häufig höre ich in Deutschland – in Pensionen, auf der Straße, im Bus – ein mitleidiges „Geht das mit der Stufe?“ oder ein erschrecktes „Vorsicht!“? Und das nicht nur, wenn ich allein unterwegs bin, selbst wenn ich an der Seite meiner Freundin gehe, sind diese Kommentare standard. Oder ich werde gleich ganz ignoriert. Fragen, die ich stelle, werden dann nicht mir beantwortet, sondern mein Gegenüber wendet sich hilflos oder herablassend an meine Begleiterin. In acht Tagen Dänemark und Schweden ist mir ein solches Verhalten nicht begegnet.

Und es gab noch mehr Kleinigkeiten, über die ich mich im Urlaub freuen konnte: sehr markante Rillen-Platten führten sehbehinderte und blinde Menschen durch Kopenhagens Innenstadt – bei uns findet man ähnliches meist nur in Bahnhöfen. Signalampeln waren in Kopenhagen, Malmö und Ystad der Normalfall. Während sich Hamburger Behörden ständig Sorgen um die vom Ampellärm angeblich so arg geplagten Anwohner machen, waren die skandinavischen Ampeln deutlich lauter als die unsrigen und sie machten immer ein anderes Geräusch, wenn es grün wurde. In Hamburg muss ich immer erst zum Ampelpfosten gehen und dort einen speziellen Knopf drücken, bevor die Ampel bei der nächsten Grünphase piept. Und die schwedischen Ampeln verfügen über einen Tastplan. Auf ihm konnte ich ertasten, wie die Kreuzung aufgebaut war, sprich: wieviel Autospuren sie hatte, in welche Richtungen die Fahrzeuge fuhren usw. Blindenschrift hatte ich in meinem schwedischen Reise-Alltag häufiger unter den Fingern als hierzulande: Bei den Geldautomaten waren die Tasten mit eindeutigen Braille-Markierungen versehen. Anders als in Hamburg konnte ich selbst ertasten, wo die Korrektur- und Bestätigungstaste waren. Und auch die WC-Tür im Tourismusbüro von Ystad war mit Blindenschrift gekenntzeichnet. All dies sind kleine, alltägliche Zeichen dafür, dass man als behinderter Mensch Teil der Gesellschaft ist. Davon kann Deutschland noch einiges lernen.

Entspannt in der Wallanderstadt

Nach drei Tagen Kopenhagen waren die bezaubernde Anna und ich erst so richtig in Urlaubsstimmung. Daher fuhren wir nicht zurück nach Hamburg, sondern über die Öresund-Brücke nach Malmö in Schweden. Da Malmö selbst wenig ansprechend ist, studierten wir die Fahrpläne am dortigen Bahnhof. Die meisten Haltestellen sagten uns nichts, waren es sehenswerte Kleinstädte mit touristischer Infrastruktur oder winzige Dörfer ohne Unterkunft für uns (ein Zelt hatten wir nicht im Gepäck)? Eine Stadt, deren Namen ich kannte, war Ystad. Wenngleich ich mit der südschwedischen Stadt vor allem regnerische Herbsttage, depressive Lebenskrisen und brutale Mordfälle in Verbindung brachte, so fand ich es doch reizvoll, einmal in die Stadt von Kommissar Wallander zu fahren.

Ystad präsentierte sich ganz und gar nicht unfreundlich. Eine ruhige, im Zentrum autofreie Kleinstaft empfing uns. Nach dem Kopenhagener Hauptstadt-Trubel war dies ein willkommener Kontrast. Schnell – spätestens als wir unsere Füße in die kräftige Brandung der Ostsee hielten – war uns klar, dass wir einige Tage hier bleiben würden. Es wurden vier erholsame Tage.

Unsere Ferienwohnung lag neben dem Polizei-Revier des TV-Wallanders, Sprich: auf dem Gelände der Ystadstudios, dem Film-Zentrum Schwedens. Von hier aus kamen wir in wenigen Minuten in ein weitläufiges Waldgebiet. In einer Viertelstunde waren wir am Meer. Wald und Meer prägten auch unsere schönste Wanderung. Wir liefen von Ystad nach Nybrostrand. Der rund zweistündige Marsch führte uns durch schattigkühle Nadel- und Laubwälder, an Farnen und Schilf vorbei, durch Felder, in denen sich Hummeln, Grillen und Schmetterlinge tummelten. Und während der ganzen Zeit war die rauschende Ostsee wenige Meter neben uns. Immer wieder konnten wir kleine Wege nehmen, die uns an den fast menschenleeren Strand führten.

In Sachen Wandern enttäuschend, aber dennoch eine Reise wert ist Kåseberga, das wir mit dem Bus ansteuerten. Hier gibt es mythische Steinkreise. Die Menschenüberragenden und tonnenschweren Felsen stehen auf einem Hügel, weit unten schlagen die Ostseewellen an die Küste. Man kann sich gut vorstellen, dass die Menschen vor Jahrtausenden hier spirituelle Erfahrungen machten.

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