Grüner Pfeil für Fahrräder: BSVH kritisiert Pläne des Bundesverkehrsministeriums

Das Bundesverkehrsministerium prüft derzeit die Einführung eines grünen Abbiegepfeils für Radfahrer an Kreuzungen. Die Maßnahme soll das Radfahren in der Stadt sicherer machen. Der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e.V. sieht in der Einführung dieser Verkehrsordnung ein großes Sicherheitsrisiko für blinde und sehbehinderte Verkehrsteilnehmer. Der BSVH lehnt die Pläne deshalb ab.

Mehrere deutsche Medien, wie die Süddeutsche Zeitung, die Welt und die MOPO berichten aktuell über die Pläne des Bundesverkehrsministeriums, den Radfahrern das Rechtsabbiegen bei Rot an Kreuzungen zu erlauben. Ein entsprechender Prüfauftrag sei an die Bundesanstalt für Straßenwesen ergangen, so die Süddeutsche Zeitung. Das Vorhaben werde von Verkehrsforschern, dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) sowie den Fraktionen Die Grünen und Die LINKE unterstützt. Auch der Verkehrsexperte der Grünen-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg, Martin Bill unterstützt die Pläne im Gespräch mit der MOPO, obwohl er im Interview selbst auf die Gefahren für Menschen mit Seheinschränkung hinweist: „Das Abbiegen der Radfahrer bei Rot kann für Fußgänger eine Gefahrenquelle darstellen. Vor allem Menschen mit Seheinschränkungen brauchen beim Überqueren der Straße das Vertrauen, dass – wenn die Ampel ein akustisches Signal sendet – der Weg für sie tatsächlich frei ist.“ Der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e.V. kritisiert das Befürworten solcher Pläne trotz offensichtlicher Gefahren für eine Gruppe von Verkehrsteilnehmern. „Wir haben kein Verständnis dafür, dass auf die Sicherheit von Menschen mit Seheinschränkung in diesem Fall keine Rücksicht genommen werden soll“, zeigt sich Heiko Kunert, Geschäftsführer des BSVH, empört. „Herr Bill hat das Gefahrenpotential selbst benannt und ist offenbar bereit, dies in Kauf zu nehmen. Dagegen wehren wir uns entschieden“, so Kunert.

Die Befürworter der neuen Regelung verweisen auf positive Beispiele in anderen Ländern. Die Süddeutsche Zeitung beispielsweise auf ein Forschungsprojekt der Stadt Basel, bei dem das Verhalten von Radfahrern an Testkreuzungen beobachtet wurde. Laut Leiter des Projekts hat es dabei keinen registrierten Vorfall gegeben, berichtet die Süddeutsche Zeitung. „Die Betonung kann hierbei nur auf den registrierten Vorfällen liegen“, sagt André Rabe vom BSVH. Er ist stellvertretender Leiter des Arbeitskreises Umwelt & Verkehr des Vereins. „Nahezu jeder blinde Mensch, den ich kenne, war schon in einen Fahrradunfall verwickelt. Aber in den seltensten Fällen werden diese gemeldet. Es geht darum, dass man sich als blinder oder sehbehinderter Mensch im Straßenverkehr sicher fühlen muss,“ so Rabe.

(Quelle: Pressemeldung des BSVH vom 17.03.2017)

Gemeinschaftsstraße, ohne uns

Blinden und sehbehinderten Hamburgerinnen und Hamburgern drohen Gefahren durch Gemeinschaftsstraßen und Kreisverkehre. Hamburgs Senat will sogenannte Gemeinschaftsstraßen und Kreisverkehre bauen. Sehbehinderte und blinde Menschen werden dadurch in ihrer Selbstständigkeit eingeschränkt.

Stellen Sie sich einmal folgendes vor: Alle Ampeln, Straßenschilder, Bürgersteige und Verkehrsregeln werden abgeschafft. Autofahrer und Fußgänger sollen sich per Blickkontakt verständigen. Gut, das klingt vielleicht ganz nett, irgendwie ungezwungen, menschlich, unkompliziert. Jetzt stellen Sie sich aber vor, dass Sie nichts sehen können. Würden Sie dann noch allein über eine Straße gehen?

Ich selbst bin blind und orientiere mich mit meinem Gehör und dem weißen Stock. Ich gehe allein einkaufen, zum Arzt und zu meiner Arbeit ins Louis-Braille-Center. Dabei höre ich auf den Straßenverkehr, auf Signalampeln und verlasse mich auf Verkehrsregeln. Wenn das alles wegfällt, kann ich mich nicht mehr selbstständig und sicher in der Stadt bewegen.

In Hamburg könnte das bald Wirklichkeit sein. Der schwarz-grüne Senat plant sogenannte Gemeinschaftsstraßen. Der englische Begriff hierfür ist Shared Space. Die Bezirke sollen geeignete Orte festlegen. Bisher sind zum Beispiel die Lange Reihe in St. Georg und die Eimsbütteler Osterstraße im Gespräch.

„Wenn man einander in die Augen blickt, dann kann eigentlich nichts mehr schief gehen!“ Das behauptete zumindest der Erfinder des Shared Space Konzeptes, Hans Monderman. Der Niederländer sagte weiter: „Die Leute wissen nicht mehr genau, was sie tun müssen, was ich auch beabsichtigt hatte. Denn nun suchen sie Augenkontakt. Und sobald der da ist, gibt es eigentlich keine Probleme mehr, weil Augenkontakt nur bei niedriger Geschwindigkeit möglich ist.“

Die Befürworter von Shared Space erhoffen sich ein Sinken der Fahrzeuggeschwindigkeit, weniger Unfälle, weniger Kosten, ein soziales Verkehrsverhalten, mehr Lebensqualität, eine Belebung öffentlicher Räume und nicht zuletzt eine Stärkung des Einzelhandels. Alles gute Argumente, die uns
jedoch völlig ausgrenzen.

Denn für uns sehbehinderte und blinde Menschen ist Augenkontakt nicht möglich. Und auch Kinder, Senioren und geistigbehinderte Menschen können überfordert sein. Deshalb hat sich der Verwaltungsrat des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes auf seiner diesjährigen Sitzung entschieden gegen die Einführung von Shared Space Bereichen in deutschen Kommunen ausgesprochen, und dies weil:

  • Orientierung und Sicherheit für blinde und sehbehinderte Menschen in diesen Arealen grundsätzlich nicht gewährleistet sind;
  • die Fahrbahn weder visuell noch taktil erfassbar ist;
  • Bordsteinkanten als Orientierungshilfe fehlen;
  • die Aufnahme von Blickkontakt zu anderen Verkehrsteilnehmern nicht
    möglich ist;
  • das Halten und Parken der Kraftfahrzeuge in diesen Bereichen nicht
    geregelt ist;
  • eine Geschwindigkeitsbeschränkung für diese Bereiche nicht
    gesetzlich festgelegt ist;
  • Leitlinien und Aufmerksamkeitsfelder in diesen Bereichen keine
    Verkehrszeichen im Sinne der Straßen-VerkehrsOrdnung darstellen.

Nach aktuellen Vorgaben soll in jedem der sieben Hamburger Bezirke eine Shared-Space-Fläche gebaut werden. Umsetzung und Folgen sollen wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden. Schon sehr viel konkreter sind die Planungen für Kreisverkehre. Rund 100 Ampel-Kreuzungen sollen in Kreisel umgebaut werden. Grund: Kreisverkehre sind billiger. Es entfallen die Wartungskosten für Ampeln. Und wir haben wieder ein Problem: Wir orientieren uns vor allem am Wechsel des Verkehrsflusses. Wo stehen und wann fahren Autos? Ruhender Verkehr fällt bei Kreisverkehren weg, was eine selbstständige Überquerung erschwert und zusätzliche Gefahren für uns birgt. Mindestens müssen Überwege kontrastreich und ertastbar gekennzeichnet werden, damit wir sie zuverlässig finden können und bei einer Lücke im Verkehr selbstständig über die Straße kommen.

Vielen Politikern und Behörden-Vertretern sind die Gefahren von Shared Space und Kreisverkehren nicht bewusst. Das bedeutet viel PR-Arbeit in den nächsten Monaten. Der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg wird sich dafür stark machen, dass schlechte Augen nicht gleichbedeutend sind mit der Unfähigkeit, sicher über eine Straße zu kommen. Jeder, der uns dabei unterstützen möchte, ist herzlich willkommen. Wenn Sie Fragen oder Anmerkungen zum Thema haben, hinterlassen Sie gern einen Kommentar oder schreiben Sie mir eine E-Mail.

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