Umstrittene Personalie: Blinde Bentele soll Behindertenbeauftragte werden

Es ist die behindertenpolitische Topmeldung dieser Woche: Verena Bentele soll Behindertenbeauftragte der Bundesregierung werden. Die blinde Biathletin und Ski-Langläuferin wurde einer breiteren Öffentlichkeit durch ihre großen Erfolge bei den Paralympics bekannt. Insgesamt kann sie zwölf Paralympics-Gold-Medaillen ihr Eigen nennen. Nach ihrem Karriereende als Sportlerin 2011 arbeitete sie als freiberufliche Referentin im Bereich Personaltraining. 2012 trat sie der SPD bei. Bentele war Mitglied der Bundesversammlung, die Bundespräsident Joachim Gauck wählte. Im Oktober 2012 engagierte sie sich im Team des SPD-Kandidaten Christian Ude als Expertin für Sport und Behinderte beim Landtagswahlkampf in Bayern.

Die neue Bundessozialministerin Andrea Nahles hatte ihre Partei-Genossin Bentele für das Amt der Behindertenbeauftragten vorgeschlagen. Am Mittwoch wird das Kabinett über die Personalie entscheiden. Die 31jährige Bentele würde auf Hubert Hüppe (CDU) folgen.

Die Reaktionen auf diese durchaus überraschende Nominierung fallen unterschiedlich aus. Viele SPD-Politikerinnen und –Politiker äußern sich auf Twitter positiv:

Auch die Christoffel-Blindenmission und der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband begrüßten die Personalentscheidung. In der Frankfurter Rundschau zeigt sich der Journalist Arne Leyenberg geradezu euphorisch. Er schreibt:

Bentele aber hat schon vor Amtsantritt viel für die öffentliche Akzeptanz von Menschen mit Behinderung getan. Mit dem Gewinn von gleich fünf Goldmedaillen bei den Paralympischen Spielen von Vancouver wurde sie als erste Behindertensportlerin überhaupt einem breiteren Publikum bekannt. (…)Die Grenzen, die ihr der Körper setzt, hat sie nie akzeptiert. Sie hat sie erst ausgereizt und dann verschoben. Wer sich im blinden Vertrauen auf seinen Begleitläufer auf die Skipiste wagt, wer sich mit dem Mountainbike Abfahrten hinunterstürzt, wer im Kilimandscharo den höchsten Berg Afrikas besteigt, wer in 23 Stunden einen Fahrradmarathon durch Norwegen absolviert und nebenbei ein wenig Bunjee-Jumping und Fassadenlaufen betreibt, der ignoriert seine Einschränkungen einfach.

Warum es positiv sein soll, wenn ein Mensch mit Behinderung seine vermeintlichen Einschränkungen ignoriert, lasse ich an dieser Stelle einmal unkommentiert, obwohl das Behinderten-Bild, das hinter diesen Formulierungen steht, durchaus einen eigenen Artikel wert wäre.

Kommen wir aber noch einmal auf die Reaktionen auf Benteles Nominierung zurück. Diese fallen nämlich keineswegs nur positiv aus. Insbesondere die Tatsache, dass sie als Quereinsteigerin über keinerlei politische Erfahrung verfüge wird im Netz kritisiert. Auch habe sie sich bisher nicht für Barrierefreiheit eingesetzt:

Ich kann diese Kritik nur schwer nachvollziehen. Zum einen kann man sich zwar wünschen, dass Leistungssportlerinnen mit Behinderung ihre Popularität dafür nutzen, sich für Barrierefreiheit und Inklusion stark zu machen, ihre originäre Funktion ist dies aber nicht. Ebenso müssten man Profi-Fußballern mit Migrationshintergrund einen Vorwurf daraus machen, wenn sie sich nicht bei jeder Gelegenheit gegen Rassismus aussprechen. Und auch Benteles fehlende Erfahrung im Politik-Betrieb muss kein Hindernis sein. Im Gegenteil: hieraus könnte sich sogar mehr Unabhängigkeit ergeben. Es gab früher eine hunderttägige Schonfrist für Politiker, die ein neues Amt antraten. Der Politiker sollte eine Chance haben, sich in seine neuen Aufgaben einzuarbeiten, sich mit den bestehenden Strukturen vertraut zu machen. Leider ist dies heute wohl in Vergessenheit geraten. Stattdessen wird schon vor der offiziellen Berufung Benteles fleißig drauflosgepöbelt – Empörung statt sachlicher Beobachtung. Dabei wird vergessen, dass sich Menschen in neuen Positionen auch entwickeln können. Ich jedenfalls finde es zunächst ein positives Signal, dass erstmals ein Mensch mit Behinderung den Posten der Behindertenbeauftragten übernimmt. Selbstverständlich ist das vor allem Symbolik, deren Bedeutung aber nicht unterschätzt werden sollte.

Und was sagt Bentele selbst zu ihrer Nominierung? Auf ihrer Website heißt es wenig konkret:

Die aufregendsten Herausforderungen kommen immer dann, wenn man sie gar nicht erwartet. Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, hat mich kürzlich angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, Behindertenbeauftragte der Bundesregierung zu werden. Nach einer kurzen Bedenkzeit, die ich bei einer so großen Aufgabe für völlig normal halte, habe ich zugesagt. Ich möchte mich ausdrücklich für das Vertrauen bedanken, das da in mich gesetzt wird. Zu Details meiner Arbeit kann und möchte ich derzeit noch nichts sagen, da erst in der kommenden Woche im Bundeskabinett über meinen neuen Posten beraten wird. Sollte es so kommen wie geplant, freue ich mich sehr auf diese neue Aufgabe und die Möglichkeit, mich als Behinderte für Behinderte einzusetzen. Ich freue mich schon jetzt auf ein spannendes Jahr 2014. Es wird definitiv kein Jahr zum Ausruhen. Aber das macht mir gar nichts – ich freue mich auf meine neuen Herausforderungen. Voriges Jahr habe ich den Gipfel des Kilimandscharo bezwungen, nun möchte ich mir Berlin genauer ansehen.

Ich wünsche Verena Bentele viel Erfolg in ihrem neuen Amt und hoffe, dass es ihr gelingt, sich für die Interessen aller Menschen mit Behinderung stark zu machen. Ich bin gespannt.

Blog über Inklusion: Für mehr Akzeptanz und Respekt

Inklusion ist ein etwas sperriger Begriff. Hinter ihm verbirgt sich aber eine Revolution im Verständnis von Behinderung. Die Aktion Mensch hat eine Kampagne gestartet, die den Begriff Inklusion konkret werden lässt. Mit Plakaten, Anzeigen und einer Website wirbt die Aktion Mensch für gesellschaftliche Teilhabe und Barrierefreiheit – und sie zeigt, dass Menschen mit Behinderung ein wichtiger und wertvoller Teil unserer Gesellschaft sind.

In dieser Woche ging das Blog zur Kampagne online. In ihm schreiben die Journalistin Anette Frisch, die Autorin Carina Kühne und ich über Inklusion. Die Idee dahinter:

Das Ziel dieses Blogs ist es, das Thema Inklusion für alle Menschen nachvollziehbar und erlebbar zu machen. Beispielsweise indem wir über aktuelle Trends berichten und über persönliche Erlebnisse erzählen, die gut oder auch schlecht sind/waren. (…) Wir möchten zeigen, dass Inklusion bereits stattfindet, dass es schon positive Beispiele gibt. Wir werden aber auch Kritik äußern, wenn es angebracht ist. Was wir damit erreichen wollen? Mehr Menschen, die sich für Inklusion einsetzen – denn mehr Akzeptanz und Respekt ist eine Sache die die ganze Gesellschaft bereichert

Mein erster Post im Blog befasst sich mit der Inklusion in der Schule. Und Sie finden ein Interview mit Verena Bentele. Wenn Sie mögen, empfehlen Sie uns gern weiter.

Perspektiven (6): „Schizophren, dass wir eine Behindertensport-Organisation haben“

Morgen enden in Vancouver die Winter-Paralympics, die olympischen Spiele der Sportler mit einer Behinderung. Deutschlands Vorzeige-Paralympics-Sportlerin ist die blinde Verena Bentele. Ronny Blaschke analysiert in der TAZ vom 17. März, wie sie zur Königin der Nische wurde:

Bentele hat Tiefen erlebt, die ihre Höhen interessanter erscheinen lassen. Sie weiß, wie sie sich beim Verband Gehör verschafft, notfalls mit Kritik an Strukturen. In Whistler hinterfragte sie die Prämienverteilung der Deutschen Sporthilfe. 4.500 Euro erhalten deutsche Sieger bei den Paralympics, olympische Goldmedaillen wurden mit 15.000 Euro entlohnt. Bentele kennt den richtigen Zeitpunkt, um offensiv zu werden: „Wir wollen gleich behandelt werden, ebenso wie alle behinderten Menschen in der Gesellschaft.“

(taz.de)

Noch schärfer formuliert Frank Höfle die Kritik gegenüber Deutsche-Welle-Redakteurin Sarah Faupel:

Höfle, der als Biathlet, Langläufer und Straßenradfahrer bei neun Paralympischen Spielen insgesamt 25 Medaillen gewonnen hat, stellt auch die Daseinsberechtigung seines eigenen Dachverbands in Frage. „Ich finde es schizophren, dass wir extra eine Behindertensport-Organisation haben. Das zeigt doch, dass wir gar nicht versuchen, den Weg der Integration zu gehen.“ Ebenfalls fordert Höfle seine Mitmenschen auf, ihre Haltung gegenüber Sportlern wie ihm zu überdenken. „Mit dem Herzen sind viele Deutsche dabei. Aber mit dem Kopf, da macht’s immer klick-klack: Ach Behindertensport, gleich mal drei Etagen tiefer ansiedeln.“

(dw-world.de)

Als erster Wintersportler in der olympischen Geschichte wollte der kanadische Langläufer Brian McKeever sowohl an den Paralympics als auch an den olympischen Spielen teilnehmen. Doch am Ende durfte der Sehbehinderte nur an den Spielen der behinderten Sportler teilnehmen. Er holte souverän Doppelgold. Arne Leyenberg schildert in der FAZ vom 19. März McKeevers Fall:

Vor Wochen wollte er am selben Ort Sportgeschichte schreiben und als erster Wintersportler bei den Olympischen und Paralympischen Spielen starten. Kurz vor dem olympischen Rennen über 50 Kilometer wurde er jedoch aus dem kanadischen Team gestrichen. „Ich habe mich gefühlt wie an dem Tag, an dem mir gesagt wurde, dass ich mein Augenlicht verlieren werde“, sagte McKeever. „Aber ich habe es verarbeitet, dass ich blind bin, und ich werde auch diese Erfahrung verarbeiten. Die zwei Goldmedaillen werden mir helfen, nach vorne zu schauen. Ein neuer Tag hat begonnen.“ In vier Jahren will er in Sotschi versuchen, was ihm in seiner Heimat verwehrt blieb. „Ich werde es wieder probieren. Wir haben schon einen Plan“, sagte McKeever.

(faz.net)

In „Perspektiven“ stelle ich lesenswerte Beiträge rund um Augenerkrankungen, Sehbehinderung und Blindheit vor. Viele weitere Linktipps erhalten Sie von mir via Twitter.

Ihre Perspektive: Brauchen wir noch Behindertensport-Verbände und Paralympics? Oder ist die Welt reif für Inklusion im Sport? Oder würden die behinderten Sportler und ihre Sportarten bei gemeinsamen Spielen in der öffentlichen Wahrnehmung untergehen?

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