Bundesteilhabegesetz: Mein Fazit im Ohrfunk-Interview

Das behindertenpolitische Jahr 2016 stand ganz im Zeichen des Bundesteilhabegesetzes. Am 1. Dezember verabschiedete der Bundestag das Gesetz mit knapp 70 Änderungen, am 16. Dezember schließlich stimmte auch der Bundesrat zu. Das Internetradio Ohrfunk hat mich um mein Fazit gebeten. Im Podcast des BSVH-Treff könnt Ihr das Interview nachhören.

#NichtMeinGesetz – BTHG grenzt Blinde aus

Die schwarz-rote Bundesregierung hat im Sommer ein Bundesteilhabegesetz (BTHG) auf den Weg gebracht, das seinen Namen nicht verdient. Vieles ist schon kritisiert worden. Eine gute Zusammenfassung der Schwachstellen gibt es auf nichtmeingesetz.de.

Die 150.000 blinden und 1 Mio. sehbehinderten Menschen in Deutschland hat die Politik beim BTHG gleich komplett vergessen.

Flickenteppich Blindengeld: Altersarmut vorprogrammiert!

Der wichtigste Nachteilsausgleich für blinde Menschen ist bis heute das Blindengeld. Der Haken: Es ist eine freiwillige Leistung der Bundesländer und in den letzten Jahrzehnten der Sparwut so sehr zum Opfer gefallen, dass von gleichen Lebensverhältnissen in Deutschland nicht mehr die Rede sein kann. Eine Bundeseinheitliche Leistung, die Blindenhilfe, stockt das Blindengeld zumindest für finanziell bedürftige blinde Menschen auf. Im Bundesteilhabegesetz gibt es aber weiterhin – anders als bei der Eingliederungshilfe – keine Verbesserung bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen. Heißt: Ein Recht auf Sparen gibt es für blinde Menschen weiter nicht. Altersarmut ist vorprogrammiert.

Eingliederungshilfe: Sehbehinderte müssen draußen bleiben!

Blinde und sehbehinderte Menschen sind auch auf Eingliederungshilfe angewiesen, z. B. für unterstützende Leistungen im Bereich Bildung. Bislang regelt die Eingliederungshilfe-Verordnung, dass blinde und sehbehinderte Menschen mit einem Sehvermögen von bis zu 30 % einen Zugang zur Eingliederungshilfe haben. Die automatische Zugangsberechtigung wird im BTHG nun ersatzlos gestrichen – ein skandalöser Rückschritt. Im Gesetzentwurf ist nun stattdessen Zugangsvoraussetzung, dass man in mindestens fünf von neun Lebensbereichen einen Unterstützungsbedarf nachweist. Das bedeutet, sehbehinderte Studierende, die mobil sind, selbstständig wohnen, aber für Ihr Studium – zum Teil sehr teure – Hilfsmittel benötigen, werden diese zukünftig nicht mehr finanziert bekommen. Der Bildungsstandort Deutschland wird eine Farce. Statt die Berufschancen zu erhöhen, in dem in die Ausbildung investiert wird, werden die Betroffenen in Behindertenwerkstätten, in Berufsförderungswerke oder gleich in die Arbeitslosigkeit verfrachtet.

Bildung und Fortbildung: Nicht für Blinde und Sehbehinderte!

Überhaupt weist der Gesetzentwurf, der im Herbst durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht werden soll, erhebliche Lücken im so wichtigen Bereich der Bildung auf – sei es für Jugendliche oder für Erwachsene. Immer noch sind bestimmte unterstützende Leistungen an finanzielle Bedürftigkeit gekoppelt. Leistungen werden bei nichtlinearen Bildungsverläufen – heutzutage eher die Regel als die Ausnahme – nicht gewährt. Sprich: Studienwechsel, Abbrüche, berufliche Neuorientierung sind für blinde und sehbehinderte Menschen nicht drin. Nach dem Motto: „Wenn Ihr unglücklich im Job seid, arbeitslos, vielleicht krank werdet, ist das nicht unser Problem!“

Teilhabeberatung: Auch für taubblinde Menschen zentral!

Im BTHG-Entwurf wird auch die sog. ergänzende unabhängige Teilhabeberatung geregelt. In Deutschlands verwirrendem Sozialsystem mit seinen vielen verschiedenen Kostenträgern, Ansprechpartnern und Gesetzen, ist die Finanzierung von unabhängigen Beratungsangeboten ein richtiger Schritt. Allerdings muss sichergestellt werden, dass nicht nur lokale Anbieter unterstützt werden, sondern auch spezialisierte überregionale Anbieter. Hier klafft im Gesetzentwurf bisher eine Lücke. Denkt man z.B. an die vergleichsweise kleine Gruppe der taubblinden Menschen (rund 2.500 bis 6.000 in Deutschland), ist es einfach unmöglich, in jeder Kleinstadt eine Beratungsstelle aufzubauen. Aber auch für blinde und sehbehinderte Ratsuchende wird man auf überregionale Beratungsangebote nicht verzichten können.

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