Raul Krauthausen hat in seinem Blog 10 Dinge, die alle Eltern ihren Kindern über Behinderungen beibringen sollten veröffentlicht. Hierin ermutigt er Eltern, mit den Fragen der Kinder offen umzugehen, den Menschen mit Behinderung diese sogar selbst zu stellen. Und er schreibt:
Auch wenn es toll ist, dass so viele Eltern nicht möchten, dass ihre Kinder mich beleidigen, sollten sie nicht wütend auf ihre Kinder werden, wenn sie Fragen zu meiner Behinderung haben. Angst, Scham oder Verlegenheit ist nicht das, was Kinder im Zusammenhang mit Behinderungen empfinden sollten. Kinder fragen ihre Eltern oft nach mir. Das stört mich nicht.
Was für Kinder erlaubt ist, gilt bei Erwachsenen als unhöflich. Das sagt zumindest der Deutsche Knigge-Rat:
Plumpe Neugier ist im Small Talk generell tabu. Fragen Sie Ihren Gesprächspartner nicht, warum oder seit wann er eine Behinderung hat. Wenn er will, wird er Ihnen die Geschichte von selbst erzählen. Anstarren gehört nicht zu den guten Umgangsformen. Bedenken Sie, dass auch blinde Menschen Blicke spüren.
Diesem Tipp stimmen nicht alle Menschen mit einer Behinderung zu. So empfand einer meiner Follower auf Twitter ihn als blödsinnig und fragte, warum der Interessierte die Behinderung nicht thematisieren solle, wenn es ihn interessiere.
Gerade weil der Umgang mit behinderten Menschen in Deutschland nicht selbstverständlich ist, haben viele Nichtbehinderte Fragen. Und wenn sie zum Beispiel – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – mit einer blinden Person zu tun haben, dann wollen sie diese gern stellen. Ich selbst ermutige Menschen sogar oft hierzu, informiere aktiv darüber, wie ich mich in der Stadt orientiere, wie ich das Internet nutze oder koche. In der Regel ergeben sich daraus weitere Fragen – und so kann ich Stück für Stück Vorurteile und Unsicherheiten abbauen.
Dennoch halte ich den Knigge-Tipp für richtig. Wir Menschen mit Behinderung müssen das Recht haben, auch mal nicht über unsere Behinderung zu sprechen. Erstens kann es nerven, ständig dieselben Fragen beantworten zu müssen, zweitens kann der Eindruck entstehen, dass wir permanent auf unsere Behinderung reduziert werden, und drittens können auch unangenehme Erinnerungen oder Gefühle hoch kommen. „Wieso bist Du blind?“ ist eine unschuldige Frage, kann aber die Erinnerung an lange Krankenhaus-Aufenthalte oder Ängste und Wut bei den Betroffenen wach rufen. Gerade Menschen, die ihre Behinderung noch nicht verarbeiten konnten, kann es schwer fallen hierüber zu sprechen. Insofern ist es eine Frage des Respekts, behinderte Menschen nicht mit plumper Neugier zu bombardieren.
Das sollte insbesondere in funktionalen und beruflichen Zusammenhängen gelten. Wenn mich zum Beispiel in einem geschäftlichen Termin mein Gegenüber plötzlich fragt, ob ich denn wirklich gar nichts sehen kann, finde ich das unpassend.
Barbara Sichtermann sagte während der Brüderle-Sexismus-Debatte einmal im Deutschlandfunk:
Männer müssen lernen, Frauen in funktionalen Zusammenhängen so wahrzunehmen, dass sie, während diese Zusammenhänge dominieren, nicht ans Geschlecht denken.
Übertragen auf das Thema dieses Artikels, heißt das: Nichtbehinderte müssen lernen, behinderte Menschen in funktionalen Zusammenhängen so wahrzunehmen, dass sie, während diese Zusammenhänge dominieren, nicht an die Behinderung denken – und diese erst recht nicht thematisieren.
Was denken Sie?