Konzert-Kritiken: Geigenrock und Fusionjazz

Konzerte, die unterschiedlicher kaum sein können, standen in der vergangenen Woche auf meinem Kulturkalender: Kettcar und Don Grusins Hang All Stars. Der Unterschied wird noch dadurch verstärkt, dass Kettcar am Dienstag auf Violinen und nicht auf E-Gitarren setzten. In den bestuhlten Fliegenden Bauten ging es somit sehr ruhig, nachdenklich, bewegend her. Es standen die Balladen der einstigen hanseatischen Punk- und Ska-Größen auf dem Programm. Und wie immer ging es textlich darum, in einer Welt, die uns Enttäuschungen bringt und uns zynisch werden lässt, die Hoffnung nicht vollkommen zu verlieren. Mein Fazit: Ein Konzept, das wiederholt und ausgebaut werden sollte.

Auch der Support von Kettcar konnte sich sehen und hören lassen. John K Samson stand auf der Bühne. Der Frontmann der kanadischen Punkband The Weakerthans bot soliden Singersongwriter-Folk mit humorvollen Texten und kleinen, schönen Melodien und schlichten Sound-Einspielungen – besonders gefiel mir das Schnurren der verstorbenen Katze des Sängers, das sich durch ein Stück brummte. Mein Fazit: Ein angemessener Support, aber das Folkrad erfindet Samson nicht neu.

Die Ankündigung für das Konzert am Donnerstag las sich vielversprechend: „Ein ganz besonderes musikalisches Live-Erlebnis im Herbst verspricht die von Don Grusin gegründete All-Star-Band ›The Hang‹. Mit der Grammy Nominierung für ›Best Contemporary Jazz Album‹ ist Don Grusin mit ›The Hang‹ in Amerika schon ein riesiger Erfolg gelungen. Jetzt kommt diese sensationelle Besetzung mit zwei deutschen Gästen auf Tour nach Europa!    Auf besonderen Wunsch von Don Grusin wurde der Hamburger Nils Wülker eingeladen, bei dieser All Star Band als einziger Bläser mitzuspielen. Nils Wülker überzeugte sie mit seinem warmen Sound auf Trompete und Flügelhorn und wird das erste Mal ohne seine langjährige eigene Band auf Tour gehen. ›The Hang All Stars‹ verbinden Funk, Fusion, akustischen Jazz und eine Prise Weltmusik zu einer aufregenden und energetischen Performance mit unglaublicher Virtuosität.“ Mein Fazit: Die Ankündigung war untertrieben. Wer die Möglichkeit hat, diese grandiose Fusion-Kombination einmal live zu sehen – und sei es auf DVD -, der sollte das tun. Nicht nur für eingefleischte Jazzfans, sondern ein Hörgenuss für alle Freunde rhythmischer und druckvoller Musik. Da spielen Profis, aber die ganz großen.

HörBIZ: 20 Jahre Hilfe für schwerhörige Menschen

Der Austausch zwischen Behinderten in Deutschland ist ausbaufähig. Viel zu häufig kocht jede Gruppe ihr eigenes Süppchen, dabei gibt es gemeinsame Interessen. Hör-, seh-, geh- und geistigbehinderte Menschen kennen alle das Gefühl des Ausgegrenztwerdens. Sie profitieren alle von Barrierefreiheit. Und sie spüren Sozialeinschnitte, wie sie in Hamburg angekündigt werden, besonders stark. Es gibt Zusammenschlüsse, so zum Beispiel die Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen in Hamburg. Es existieren aber auch viele Berührungsängste. „Wie kann ich als blinder Mensch mit einem hörbehinderten Gegenüber kommunizieren?“, das fragen sich Manche, und statt es auszuprobieren, lassen sie es lieber sein. Und manchmal ist es bei einigen Betroffenen eine Abgrenzungsstrategie nach dem Motto „So behindert wie die Spastiker bin ich ja nicht“.

Um so mehr freute ich mich über die Einladung zur Feierstunde 20 Jahre HörBIZ. Das Hörberatungs- und Informationszentrum ist eine Beratungsstelle für schwerhörige Hamburgerinnen und Hamburger. Redner von Sozialbehörde und Paritätischem Wohlfahrtsverband sprachen bei der Feier, eine Gruppe schwerhöriger Jugendlicher trommelte. Angebote wie das HörBIZ in der Wagnerstraße (übrigens im ehemaligen Gebäude des Blindenvereins) sind enorm wichtig. Ambulante Beratung, die behinderten Menschen mehr Selbstständigkeit ermöglicht, ist in der Regel stationärer Pflege, Heimen, Sonderschulen und Anstalten vorzuziehen. Bleibt zu hoffen, dass die politischen Zusagen für das HörBIZ nicht nur Lippenbekenntnisse sind und die Finanzierung auch in den kommenden 20 Jahren gesichert bleibt.

Römischer Zwischenruf

„Folgen wir nicht, wie das Herdenvieh, der Schar der Vorangehenden! Wandern wir nicht, wo gegangen wird, anstatt auf dem Wege, den man gehen soll! Nichts bringt uns in größere Übel, als wenn wir uns nach dem Gerede der Leute richten, für das Beste halten, was allgemein angenommen wird, nicht nach Vernunftgründen, sondern nach Beispielen leben.“

(Quelle: Seneca – De vita beata / Vom glücklichen Leben, I, 3)

Perspektiven (1): „Alle reden von Integration, aber keiner will es wirklich“

In der „Welt“ vom 30. Oktober porträtiert Claudius Lüder den blinden Läufer Jeffrey Norris, der am New-Yorm-Marathon teilgenommen hat. Der 49Jährige wird von sehenden Guides begleitet. Sie sorgen dafür, dass Norris nicht stolpert und sich stattdessen voll aufs Laufen konzentrieren kann. Die Welt zitiert Günter Donath, der persönlich und sportlich vom Guidesein profitiert:

Es ist also ein gewisser Druck dahinter um den inneren Schweinehund auch bei schlechtem Wetter zu überwinden (…) Ich weiß, er ist auf mich angewiesen. Wenn ich nicht laufe, kann er es auch nicht, und ich schade gleich zwei Leuten.

Während Behindertensportarten wie der Blindenfußball zunehmend öffentlich wahrgenommen und die Leistungen der Sportler anerkannt werden, stoßen behinderte Menschen schnell an Grenzen, wenn sie am Spielbetrieb der Nichtbehinderten teilnehmen wollen. Und das liegt weniger an der körperlichen Einschränkung, sondern an Vorurteilen der nichtbehinderten Entscheidungsträger. Einen solchen Fall schildert die Nordwestzeitung am 31. Oktober. Ulrike Gerards erzählt die Geschichte des neunjährigen Judoka Michel:

Michel hat manchmal keinen Spaß mehr am Judo. Der Neunjährige ist blind, aber begeistert beim Training dabei. Die vielen körperbetonten Übungen meistert er auf der Matte genauso gut wie seine sehenden Vereinskameraden beim OTB. Aber bei offiziellen Wettkämpfen um die Bezirksmeisterschaft darf er nicht antreten. Die Regeln lassen es nicht zu. Seine Mutter Claudia Behrends kann das nicht fassen: „Alle reden von Integration. Aber keiner will es wirklich“, sagt die Mutter. Bei den Meisterschaften im vergangenen Jahr wurde Michel sogar regelrecht gedemütigt. Der Neunjährige fuhr zum Wettkampf in der Annahme, er dürfe antreten. „Von den Kampfrichtern wurde er dann nur bloßgestellt“, erzählt Claudia Behrends. Michel wurde gefragt, ob er seinen Gegner sehen könnte, um zu beweisen, dass er nicht mitmachen kann.

In „Perspektiven“ stelle ich lesenswerte Beiträge rund um Augenerkrankungen, Sehbehinderung und Blindheit vor. Viele weitere Linktipps erhalten Sie von mir via Twitter.

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