Ethnologie in London

Verfasst am Mi.05.03.08

Am Montag gab es den touristisch-obligatorischen Themsen-Spaziergang, vorbei an Big Ben, Globe Theater (da muss ich im Sommer mal rein) und Tower-Bridge. Danach haben Rheinhold, Lisa, ihre mexikanische Freundin Carmen und ich chinesisch gegessen. Wir waren im Chuen Cheng Ku, das mir PR-Coach Christian empfohlen hatte. Wir haben uns Dim Sum gegönnt, d.h. kaum englisch-sprechende Chinesinnen fahren mit einem Wägelchen voller Häppchen an deinem Tisch vorbei, und du sagst yes oder No. Und weil alles so schön Häppchenhaft ist, traut man sich auch die Haifischflossen und Schnecken zu. Nur vor dem Rindermagen haben wir kapituliert (den gibt’s dann auch im Sommer), und Hühnerfüße wurden uns gar nicht erst angeboten. Es war lecker und spannend. Und dass bei Chuen auch viele Asiaten essen – und nicht nur die Touris – spricht ebenfalls für dies Restaurant in London-Chinatown.

Und das Restaurant kam uns vor wie eine Oase. Grund: nach unserem Spaziergang sind Rheinhold und ich in Monumentstation in die U-Bahn eingestiegen, um mit der Centralline zu fahren. Schließlich wollten wir Lisa treffen, um zum Chinesen zu gehen. Dummerweise war es 17.00 Uhr, Rush-Hour. Das ist ein Erlebnis, das wir Hamburger uns nur schwer vorstellen können, selbst wenn wir jahrelange 5er-bus-zur-Uni-Erfahrung haben. Menschenmassen, die sich durch endlos weite Tunnellandschaften schieben, keine Roll- oder sonstige Treppenauf- und Abstiege scheuen, im Kindergärtnerton gebrüllte Lautsprecherdurchsagen, die dem U-Bahn-Nutzer-Hirn einhämmern, erst aussteigen zu lassen und erst danach einzusteigen, im Kindergärtnerton gebrüllte Lautsprecherdurchsagen, die dem U-Bahn-Nutzer-Hirn einhämmern, hinter der Rolltreppe nicht stehen zu bleiben, da einem sonst die ganze Herde in die Hacken rennt, heiße körperliche Nähe im Zug, die sich manch andere Menschen in ihrem Bett wünschen. Aus Touristisch-ethnologischer Perspektive ist U-Bahn-Fahren in London ein Erlebnis. Wie es ist, das jeden Tag im Alltag zu haben, weiß ich nicht. Die Eingeborenen wirkten aber recht stoisch. Ich habe einmal gehört, es gebe in London überdurchschnittlich viele Blindenführhunde. Ich könnte mir vorstellen, dass das stimmt. Möglicherweise ist das der entspanntere Weg, Londons Gewusel als blinder Brite zu beherrschen. Blindenstöcke gehen bei der Enge gewiss häufiger mal zubruch.

Und Dienstag war – nach einem letzten Camden-Bummel, dem Abschicken der Rheinhold’schen Postkarten und extremst fettigen Fish & Chips – auch schon wieder der Rückflug angesagt. Aber wir sind jetzt schon ganz heiß auf unseren nächsten Besuch in UK: Rheinhold und ich planen, im Juli wiederzukommen – mit Paddeln in den Docklands, einem Globetheatre-Besuch und einem englischen Picknick. See You!

Links zum Thema

Restaurant Chuen Cheng Ku http://www.chuenchengku.co.uk/

London aus der Rollstuhl-Perspektive: http://www.behindertenparkplatz.de

Globalisierung und Behinderung

(Verfasst am Mo.03.03.08)

London ist wie ein Rausch. Alles pulsiert und groovt. Wohin sollen wir gehen? Ins Portugiesenviertel, zu den Marokkanern, nach Chinatown? Das ist Welt Kompakt. Wir entscheiden uns am Sonntag für die Brick Lane. Hier reiht sich ein Curry-Imbiss an den nächsten. Über die Gehsteige schallt indische Musik und die Straßenschilder sind in Hindi. Ich stelle mir die Schlagzeilen der Hamburger Boulevard-Presse vor, wenn in Wilhelmsburg plötzlich türkische Straßenschilder stünden – das Ende des Abendlandes wär dann wohl gekommen. Hier in London scheint das Nebeneinander der Kulturen zu klappen. In Markthallen, in verramschten Shops oder direkt auf der Straße, jeder möchte hier etwas verkaufen. Die Angebotspalette reicht bis an den Rand der Illegalität: ob es wirklich der Besitzer ist, der sein altes Fahrrad für fünf Pfund verscherbelt? Ein Funk-DJ hat sein Soundsystem am Straßenrand aufgedreht und bietet selbstgebrannte Compilation-CDs an. Ob es in England etwas wie die Gema gibt? Und sogar die Hütchen-Spieler-Horden vom Balkan gibt es hier noch. Aber auch hier in der Brick Lane sind Überlebenskapitalismus und die hippsten Trends nah beisammen. Denn auch hier gibt es Shirts im Siebdruckstyle, Clubsounds, die ich auf deutschen Straßen und aus deutschen Radios niemals höre. Und wahrscheinlich ist es genau diese Einheit aus den rauhen Gesetzen des freien Marktes und der Ballung internationaler Einflüsse, die das Pulsieren dieser Stadt ausmacht.

Nach unserem Nachmittagsbummel landen wir bei Ziggy. Sprich: in einem Pub. Uns begleitet Camilla, Lisas finnische Freundin, die mit einem Cellisten von Apocalyptica zusammen ist. Während Lisa Konferenzen an einem Gynäkologen-College organisiert, verkauft Camilla Film- und Musik-Pakete an Flug-Gesellschaften – erstaunliche Jobs, die unsere Generation hat. Ziggy hat alles, was man an einem Sonntag braucht: gemütliche Antik-Sofas, hippen Dancefloorjazz, saftige Burger mit Pommes, Cider und acht Sorten Bier vom Fass. In netter Gesellschaft können da schonmal sechs Stunden vergehen.

Und auch an diesem Abend stell ich einmal wieder fest, wie unkompliziert die Menschen hier mit meiner Behinderung umgehen. Schon häufig hab ich in England oder Irland erlebt, dass mich die Leute einfach ansprechen, und sie sagen nicht: „toll wie Sie allein gehen“ oder „wodurch sind Sie blind geworden“ oder „das muss aber schlimm sein“. Nein, die Leute hier sagen „nice Weather, isn’t it?“, „are you on holiday?“ oder „Hamburg, that’s a wonderful city!“ Und auch Camilla reicht mir nach dem Pub-Abend – wie selbstverständlich – ihren Arm. Sie wolle das einfach mal probieren. Ist es meine Urlaubsausstrahlung, die die Menschen hier so locker mit mir umgehen lässt? Oder ist es vielleicht doch so, dass wir Deutschen ein tendenziell verkrampfteres Verhältnis zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen haben? Vielleicht liegt es an der Grundhaltung: in den angelsächsischen Ländern macht jeder aus seiner Situation das Beste, sei er Ausländer, behindert oder blond. Bei uns sehen wir als erstes die Hilfsbedürftigkeit von Menschen, die anders sind. Hoffentlich trägt die Globalisierung den offenen Umgang mit Behinderten auch eines Tages nach Deutschland.

„London Leben“ über die Brick Lane: http://www.londonleben.co.uk/london_leben/2004/07/brick_lane_and_.html

Cooles Camden

(verfasst am So.02.03.08)

Es ist umwerfend, wieder in London zu sein! Lisa hat Rheinhold und mich am Freitag gemütlich mit einer Flasche Wein empfangen. Die war auch dringend nötig, nachdem wir in unserem Flieger bei starkem Sturm doch ziemlich durchgeschüttelt wurden. Wir saßen in ihrem Wohnzimmer, das sie sich normalerweise mit sechs anderen WG’lern teilt. Die sind aber alle nach Porto – für zwei Tage im Billigflieger, diese Welt ist bizarr. Es ist auch bizarr, wie die Menschen hier in dieser reichen Metropole leben: sieben berufstätige Erwachsene um die 30 leben in kleinen Zimmern, haben nur ein winziges Bad, eine Kochecke und Sitzplätze für genau sieben Personen, keinen Esstisch – wo sollte der auch stehen? Der Putz kommt von den Wänden, der Gas-Herd und der Warmwasser-Boiler machen wenig vertrauenswürdige Geräusche. Lisa zahlt 530 Pfund (rund 680 Euro, für ihr Zimmer, warm und in Camden. Und in Camden zu leben, entschädigt für so einiges. Es ist wohl einer der coolsten Orte der westlichen Welt. Schön, dass Lisa inzwischen hier lebt, und schön ist es, sie wiederzusehen und mit ihr bis halb Drei zu plaudern!

Samstag ging es für Londoner Verhältnisse unglaublich entspannt los: runter an den Kanal. Und entlang an unzähligen Hausbooten, am Zoo und an virtuosen Akkordeon-Spielern vorbei, gingen wir nach Little Venice. Little Venice ist einer der wohlhabenden Stadtteile in Zentral-London. Das ist nicht das Erste, dass mir vor Samstag zu dieser Weltstadt eingefallen wäre: Auf einer Veranda sitzen, es plätschert das Wasser, und in der Sonne trinken wir exzellenten Capucchino. Der rund 90-minütige Walk hat unseren Schreibtisch-Rücken und -Beinen so gefallen, dass wir ihn auch noch zurück gehen. Ab in den Trubel!

Den Trubel kannte ich schon von meinen letzten Besuchen hier. Und doch finde ich das Pulsieren der Camden-Märkte jedesmal wieder fantastisch, berauschend. Ich gehe an Rheinholds Arm nur zehn Meter und es duftet auf der kurzen Strecke nach Original-Thai-Curry, nach Fritiertem Gemüse und nach göttlichen Doughnuts, gewendet in Zimt und Zucker. In einem Moment Dröhnt von dem einen Stand Reggae, vom nächsten Salsa, von einem weiteren klingt es orientalisch und ein anderer Verkäufer hört lieber Irish Folk in voller Lautstärke. Die Menschen vor und hinter den Tresen sprechen Chinesisch, spanisch, mit afrikanischem Akzent und immer häufiger Polnisch oder tschechisch.

Abends geht es in Camden vielleicht nicht ganz so international zu wie am Tag. Die Club- und Pub-Kultur ist wohl doch eher etwas für einheimische Briten und deutsche Touristen. Aber es geht nicht weniger abwechslungsreich und dynamisch zu. Auf gut Glück investieren wir sechs Pfund in ein Konzert, und werden nicht enttäuscht. Reggae und Ska bringen uns im Dublin Castle in Stimmung. Lisa, Rheinhold und ich ziehen von Pub zu Pub, diskutieren über alte Freunde, über den Alltag in einer so wilden Stadt wie London und streiten uns über Amerika. Tausende andere Menschen tuen ähnliches hier, sie hören dabei schrabbeligen Rock aus schrabbeligen Lautsprechern und füllen ihre Gemüter mit Cider und Ale. Ich liebe die Atmosphäre hier. Von mir aus können wir heut Abend noch einmal im Pub landen…

„London Leben“ über Little Venice: http://www.londonleben.co.uk/london_leben/2005/01/little_venice.html

Homepage der CAMDEN MARKETS LONDON: http://www.camdenlock.net/

Die Insel ruft

Verfasst am Do.28.02.08)

Puh, das war doch eine Menge Stoff! Jetzt ist es an mir, mich in den nächsten Monaten und Jahren für ein PR-Verständnis zu entscheiden. Ist PR Teil des Marketings? Oder ist PR eine unternehmerische Denkhaltung, sozusagen das zweite Bein eines Unternehmens? Und welche Rolle spielen Corporate Behaviour, Communications und Design für eine Selbsthilfe-Organisation blinder und sehbehinderter Menschen? Erstmal viel Denk- und Strukturierungsmodelle, viel Wissen, das noch verinnerlicht und gewichtet werden will. Das kriegt mein verschnupfter Kopf aber heut im ICE gewiss nicht mehr hin.

Und morgen geht’s dann nach London – hoffentlich spielt die Gesundheit mit. Ich freu mich auf vier Tage Metropolen-Flair, auf das bunte Leben, auf vier Tage Spaß mit Rheinhold und auf Lisa, die ich über eineinhalb Jahre nicht gesehen hab. Und ich freu mich auf ein Chinesisches Restaurant, das mir Christian, unser Schweizer PR-Coach, empfohlen hat. Er sagt, dass man dort alles einmal probieren sollte, mit Ausnahme der Hühner-Füße. London ich komme!

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